Betroffenene stellen sich häufig die Frage, ob es Sinn macht, einen Schwerbehindertenausweis auf Psyche zu beantragen oder ob überhaupt die Chance besteht, einen Ausweis zu bekommen.

Von selber kommen die meisten Betroffenen aber gar nicht darauf, sie lesen im Internet davon oder werden von ebenfalls Betroffenen, Arbeitskollegen oder Sozialarbeitern, etc. darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung vielleicht sinnvoll wäre.


Oft steht bei dem ersten Gedanken an die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises die Sorge um den aktuellen Arbeitsplatz im Vordergrund, da es mit einem Schwerbehindertenausweis den sagenumwobenen besseren Kündigungsschutz gibt.
Voraus geht dem Ganzen leider fast immer ein Leistungseinbruch durch Instabilität, die Symptome lassen sich nicht mehr kompensieren und verstecken, der Stress und die Belastung steigen…
Manchmal kommt es aber auch vor, dass man sich vor allgemeinem Stellenabbau schützen will oder der Arbeitsplatz aus anderen Gründen gefährdet ist.

Eins vorab:
Will der Arbeitgeber Dich loswerden, wird ihn ein Schwerbehindertenausweis nicht daran hindern. Entweder er zahlt bei langer Betriebszugehörigkeit Summe X als Abfindung, die aber beim Arbeitslosengeld als Einkommen angerechnet wird oder er schikaniert Dich so lange, bis Du von alleine gehst. Ein Basteln eines „passenden“ Arbeitsplatzes, entsprechend Deinen Einschränkungen und Problemen wird es in den allerseltensten Fällen geben, im Gegenteil…
Es wird Dir eher Simulation, Hypochondrie, Dramatisierung oder schlichtweg Unkooperativität, Egoismus, Faulheit und Unfähigkeit/ Arbeitsverweigerung von Vorgesetzten und Kollegen untergeschoben und das Arbeitsklima wird noch beschissener. Vorher hast Du ja auch funktioniert.
Psychisch Kranke halten Druck und schlechte Arbeitsbedingungen und vor allem das Wissen, dass man abgelehnt wird, aber meistens sehr schlecht aus, weshalb ein Kampf um einen Arbeitsplatz mit schlechten Bedingungen von Dir genauestens abgewogen werden sollte.

Und bis alle Formalitäten um den Antrag zum Schwerbehindertenausweis bis zur Vergabe des GdB (Grad der Behinderung) und Ausstellung des Ausweises erledigt sind, vergehen Monate und bis dahin hast Du wahrscheinlich schon die Kündigung, bist selber gegangen oder komplett arbeitsunfähig.
Einen angemessenen GdB zu bekommen, ist nämlich gar nicht so einfach und natürlich dauert die Bearbeitung des Antrages auch seine Zeit.

GdBs von 10-20 sind im ersten Durchlauf für „unsere“ Einschränkungen eher die Regel als die Ausnahme. Für den klassischen Kündigungsschutz benötigst Du aber mindestens einen GdB von 50, ab da gibt’s auch erst einen Ausweis.
Im Rahmen der Gleichstellung reicht aber auch ein GdB von 30 oder 40, um dem Arbeitgeber das Kündigen etwas zu erschweren und je nach Größe des Betriebes den Betriebsrat und das Integrationsamt ein bischen zu beschäftigen.

Wichtig ist somit:
Dir muss klar sein, dass es dauern kann, bis Du den angemessenen Grad entsprechend Deinen Einschränkungen im Bescheid stehen hast. Manchmal geht’s recht zügig, innerhalb von ein paar Wochen, häufig muss aber ein Widerspruchsverfahren angeleiert werden und wenn das auch nicht gut läuft, auch sehr oft die Klage vor dem Sozialgericht.
Der (erhoffte/zustehende) Schwerbehindertenausweis kann JETZT, in diesem Moment, also keine aktuellen Probleme lösen.

Ein Schwerbehindertenausweis kann Dir unter Umständen auch Steine in den Weg legen, denn er ist ein amtliches Dokument, dass Deine Einschränkungen manifestiert und Dir in der Theorie einige Rechte zusichert, in der Praxis aber erstmal eher nicht…denn da haben eben die wenigsten Arbeitgeber Bock drauf.
Sie möchten unkomplizierte leistungsstarke Arbeitnehmer und zahlen lieber für die Nichterfüllung der Schwerbehindertenquote, anstatt einen Schwerbehinderten einzustellen.
Und wenn sie es doch tun, nehmen sie eher den Rollifahrer als Sachbearbeiter, der ist nicht so ein Überraschungspaket und benötigt im Idealfall nur eine behindertengerechte Toilette und Barrierefreiheit.

Ja…das ist die Realität! Viel tun kann der Schwerbehindertenausweis für Dich leider im Job nicht. Wofür beantragt man das Ding dann überhaupt?

Was für Vorteile hast Du von dem Schwerbehindertenausweis?

… ja ich schreib das Unwort „VORTEIIILEEEE“…
Politisch korrekt werden die „Vorteile“ nämlich „Nachteilsausgleich“ genannt, weil es den Benachteiligten einen Ausgleich zu Nichtbehinderten verschaffen soll.
Und das ist ja nix Positives, also kein Vorteil… mööööp 🙂

Die Höhe des GdBs (Abkürzung für Grad der Behinderung/früher Prozente genannt) bestimmt unter anderem, welche Nachteilsausgleiche es gibt und die sind erstmal überwiegend finanzieller Natur für Menschen, die noch im Job sind oder die gemeinsam mit ihrem arbeitenden Partner bei der Einkommenssteuer veranlagt werden: Steuerfreibeträge, Steuerermäßigungen, Beitragsermäßigungen,  etc. Dazu gibt’s u.a. mehr Urlaubstage, den tollen Kündigungsschutz, leichteren Zugang zu ReHa und einen früheren Renteneitritt.
Das mal so als grobe Übersicht, genaue Tabellen findest Du z.B. bei betanet.de

All diese Nachteilsausgleiche helfen Dir als Einzelperson mit geringen Einkommen aber sehr wenig, besonders unverheiratet, mit kleiner Erwerbsminderungsrente und/oder Grundsicherung oder Hartz4.
Zahlst Du keine Steuern, nutzt Dir eine Steuerermäßigung nunmal gar nix.

Zur Erleichterung des Alltages sind deswegen für diesen Personenkreis die Merkzeichen wesentlich wichtiger!

Welche Merkzeichen sind denn möglich bei psychischen Erkrankungen, insbesondere bei PTBS, KPTBS, Dissoziativen Störungen?

Bei unseren „typischen“ Einschränkungen, basierend rein auf Psyche, sind nur ein paar Merkzeichen relevant. Die anderen Merkzeichen lasse ich deswegen jetzt auch komplett aussen vor.

Die wichtigsten Inhalte zur Erfüllung der Voraussetzungen zur Erteilung dieser Merkzeichen finden sich für uns in der Anlage zu §2 der Versorgungsmedizin- Verordnung vom 10.Dezember 2008 , weshalb ich nur Auszüge aus dieser Anlage zu den relevanten Merkzeichen kopiere und wichtige Passagen rot markiere.

Mir ist hier sehr wichtig, dass Dir bewusst ist, dass ich als ebenfalls Betroffene lediglich unverbindliche Tips geben kann und Gesetze und Anlagen jederzeit geändert werden können vom Staat, ohne dass ich das mitbekomme. Überprüf also bitte selber nochmal die Aktualität und leite keinen Rechtsanspruch aus meinen Texten ab.
Desweiteren kenne ich deinen Gesundheitszustand nicht und es könnten durchaus noch andere Merkzeichen in Betracht für Dich kommen.


Merkzeichen B (Begleitung erwünscht oder erforderlich)

Nachteilsausgleiche:
Begleitpersonen bekommen oft Ermäßigung oder freien Eintritt,
emotional: Dokumentiert, dass Begleitung für Dich wichtig ist und eben Unterstützungsbedarf im Alltag besteht.

Voraussetzungen:
Auszug aus der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008:

2. Berechtigung für eine ständige Begleitung (Merkzeichen B)
a) Für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson ist nach dem SGB IX die Berechtigung für eine ständige Begleitung zu beurteilen. Auch bei Säuglingen und Kleinkindern ist die gutachtliche Beurteilung der Berechtigung für eine ständige Begleitung erforderlich. Für die Beurteilung sind dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezügliche behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen.
b) Eine Berechtigung für eine ständige Begleitung ist bei schwerbehinderten Menschen (bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen „G”, „Gl“ oder „H” vorliegen) gegeben, die bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Dementsprechend ist zu beachten, ob sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sind oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z. B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind.
c) Die Berechtigung für eine ständige Begleitung ist anzunehmen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist.



Merkzeichen G (Gehbehindert)

Nachteilsausgleiche:
Kostenlose Beförderung im ÖPNV durch Kauf einer Wertmarke oder 50% KFZ Steuerermäßigung,
Wichtig: 17% Mehrbedarf bei Grundsicherung und Sozialhilfe, bei Harzt4 gibt’s das leider nicht.

Voraussetzungen:
Auszug aus der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008:

1. erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G)
a) Nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ist zu beurteilen, ob ein behinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Hilflose und Gehörlose haben stets einen Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr.
b) In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d. h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird.


Merkzeichen RF (Rundfunk)

Nachteilsausgleich:
Ermäßigung bei der Haushaltsabgabe der Rundfunkgebühren/ ehemals GEZ…
Für unverheiratete Paare, bei WG oder Untervermietung allerdings nutzlos, da muss dann der Gesunde den vollen Beitrag für den Haushalt zahlen.

Voraussetzungen:
§ 4 Absatz 2 RBStV (Rundfunkbeitragsstaatsvertrag)

Der Rundfunkbeitrag nach § 2 Abs. 1 wird auf Antrag für folgende natürliche Personen auf ein Drittel ermäßigt:
1. blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung,
2. hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und
3. behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.


Merkzeichen H (hilflos)

Nachteilsausgleiche:
KFZ Steuerbefreiung UND kostenlose Beförderung im ÖPNV , freie Einfahrt in die Umweltzonen mit Dieselfahrzeugen, Mobilitätskostenübernahme für Therapien und Arztbesuche durch die KK möglich, in vielen Gemeinden Befreiung von der Hundesteuer

Voraussetzungen:
Auszug aus der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008:

a) Für die Gewährung einer Pflegezulage im sozialen Entschädigungsrecht ist Grundvoraussetzung, dass Beschädigte (infolge der Schädigung) „hilflos“ sind.
b) Hilflos sind diejenigen, die infolge von Gesundheitsstörungen – nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB I X) und dem Einkommensteuergesetz „nicht nur vorübergehend“ – für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen.
Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist.
c) Häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft. Außerdem sind notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen.
Hilflosigkeit liegt im oben genannten Sinne auch dann vor, wenn ein psychisch oder geistig behinderter Mensch zwar bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe nicht unmittelbar bedarf, er diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornähme. Die ständige Bereitschaft ist z. B. anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist.
d) Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehren, benötigt wird.
Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nicht (z. B. Hilfe beim Anziehen einzelner Bekleidungsstücke, notwendige Begleitung bei Reisen und Spaziergängen, Hilfe im Straßenverkehr, einfache Wund- oder Heilbehandlung, Hilfe bei Heimdialyse ohne Notwendigkeit weiterer Hilfeleistung). Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen (z. B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung) müssen außer Betracht bleiben.
e) Bei einer Reihe schwerer Behinderungen, die aufgrund ihrer Art und besonderen Auswirkungen regelhaft Hilfeleistungen in erheblichem Umfang erfordern, kann im Allgemeinen ohne nähere Prüfung angenommen werden, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen von Hilflosigkeit erfüllt sind.
Dies gilt stets
aa) bei Blindheit und hochgradiger Sehbehinderung,
bb) Querschnittslähmung und anderen Behinderungen, die auf Dauer und ständig – auch innerhalb des Wohnraums – die Benutzung eines Rollstuhls erfordern,
f) in der Regel auch
aa) bei Hirnschäden, Anfallsleiden, geistiger Behinderung und Psychosen, wenn diese Behinderungen allein einen GdS von 100 bedingen,
bb) Verlust von zwei oder mehr Gliedmaßen, ausgenommen Unterschenkel- oder Fußamputation beiderseits. (Als Verlust einer Gliedmaße gilt der Verlust mindestens der ganzen Hand oder des ganzen Fußes).
g) Führt eine Behinderung zu dauerndem Krankenlager, so sind stets auch die Voraussetzungen für die Annahme von Hilflosigkeit erfüllt. Dauerndes Krankenlager setzt nicht voraus, dass der behinderte Mensch das Bett überhaupt nicht verlassen kann.
h) Stirbt ein behinderter Mensch innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt einer Gesundheitsstörung, so ist die Frage der Hilflosigkeit analog Nummer 2 Buchstabe g zu beurteilen.


Das ist alles nicht viel, kann aber eine Hilfe im Alltag sein…also macht es grade für finanziell Schwache sehr viel Sinn, einen Schwebi zu beantragen.

Was Du nun dafür tun musst, um einen Schwerbehindertenausweis mit angemessenem GdB und die Merkzeichen zu bekommen, findest Du in dem Beitrag „Das Merkzeichen- und GdB Pokern“.

 

Deine Rapunzel (die sich seit Monaten vor Gericht um das Merkzeichen H kloppt)