Über die Frau, die mich auf die Welt brachte und mich immer wieder verließ…


Nun ist es vorbei…
Das Warten…das Hoffen…das Hadern…
Unwiderruflich…
Denn sie ist gestorben…

Ohne sich von mir zu verabschieden.
Ohne mir die Möglichkeit zu geben, als Tochter bei der Beisetzung dabei zu sein.
Ohne mir überhaupt jemals wirklich den Tochter-Status zugestanden zu haben.
Mit all den Verpflichtungen und der Verantwortung und Liebe, die eine Mutter ihrer Tochter entgegenbringen sollte.

50 Jahre hat mich dieser Mutter-Tochter-Kram fast tagtäglich in tiefen inneren Konflikten zerrissen. 50 Jahre hat sie mich um die Mutterliebe beschissen!

wp_20161008_014Wut, Frust, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Trauer, Selbstmitleid, Neid…
Angst…das sind die Dinge, die ich mit meiner Mutter in Verbindung bringe.
Zurückgestoßen, abgelehnt, im Stich gelassen…immer und immer wieder.

Meine Mutter war nämlich eine Wiederholungstäterin.
Sie hat mich nicht zur Ruhe kommen lassen…immer wieder hat sie mich aus dem mühselig aufgebauten Oma-Enkelin-Geflecht rausgerissen…wenn sie es wollte…

und dann ist sie wieder gegangen, wenn sie es wollte…

Ohne Erklärungen, ohne für mich ersichtliche Gründe…als wenn es sie nie gegeben hätte.

50 Jahre hat sie das getan…Warum?
Ich weiß es nicht, denn in den wenigen gemeinsamen Zeiten, die wir hatten, habe ich mich nie getraut, danach zu fragen, warum sie mir das antut.
Warum sie kam und ging, wie sie es wollte und warum sie kein Mitgefühl für ihre Tochter hatte und nie darauf Rücksicht nahm, wie es ihrer Tochter damit ging, wenn sie einfach die nächsten 10 Jahre wieder aus meinem Leben verschwand.
Meine jüngere Schwester hat sie zum Glück in Ruhe in ihrer Adoptivfamilie aufwachsen lassen…
Aber ich? Ich war in mehrjährigen Abständen diejenige, die zur Verfügung stehen musste fürs „schlechte Gewissen“?
Ich war in diesen kurzen Zeiten immer nur bemüht, eine gute Tochter zu sein und ein Stück heile Familie und Normalität zu bekommen. Ich habe nicht hart bleiben können, obwohl ich es versucht habe. Zu groß war die Sehnsucht.

Jetzt ist sie weg, unwiderruflich… sie wird nie wieder zurückkommen…und sie lässt mich mit einer Menge offener Fragen zurück.
Ich habe sie nie wirklich kennenlernen dürfen, wer sie eigentlich war, wie ihre Kindheit war…Ich kenne nur das, was mir andere über sie erzählt haben…und das, was ich mit ihr erleben musste.

Hat sie mich überhaupt jemals ein bischen lieb gehabt?
Lang genug habe ich darauf gehofft…

Die letzten Worte an mich gab es telefonisch im Sommer 2007 anlässlich des Todes meiner Oma:
“ Wenn Du zurück nach Bielefeld kommst, fangen wir nochmal ganz von vorne an!“
Danach habe ich nie wieder was von ihr gehört…

Eine SMS habe ich ihr noch 2008 geschrieben, wo ich quasi gebettelt habe um eine Antwort, warum sie mich wieder im Stich ließ.
Und warum sie das jetzt auch meinem Sohn, ihrem Enkel antat…
Denn der stand ja plötzlich auch ohne Oma da…und ich konnte es ihm nicht erklären, warum das so war.
Eine Antwort habe ich von ihr nicht bekommen…

In den letzten 10 Jahren habe ich wie immer gedacht und gehofft, dass meine Mutter mit steigendem Alter wieder mal den Kurs wechselt und sich bei mir meldet…
Oder ich habe kurze Impulse gehabt, an Weihnachten oder zu Muttertag einfach vor ihrer Tür zu stehen, uns trennten räumlich knapp 10 Kilometer…allerdings nur kurz, denn gesundheitlich wäre das nicht machbar gewesen, ich hätte ohne Begleitung nicht hinfahren können und eine Ablehnung wäre für meine Psyche eine Katastrophe gewesen…die letzten Jahre geht’s mir auch so schon schlecht genug.
Einmal habe ich sie gesehen…auf dem Parkplatz vor LIDL…sie sah mich nicht, obwohl sie unmittelbar neben meinem Wagen geparkt hatten.

Ja, meine Mutter ist nicht weiser geworden…im Gegenteil…sie hat ihren Kurs beibehalten.
Sie muss schon länger krank gewesen sein…
und selbst im Angesicht des Todes hat sie mich nicht als Tochter an ihrer Seite haben wollen.
Und anscheinend wurde gemeinschaftlich von Ihr, ihrem Mann und meinem Halbbruder beschlossen, mich auszusperren und mich nicht über ihren Tod zu informieren.

Ich habs gestern zufällig erfahren, weil ich aus einem nichtigen Grund auf dem Facebook-Profil meines Halbbruders war…und dort ein Austausch des Profilbildes gegen ein schwarzes Bild stattgefunden hat Ende März.
Leider war an den Kommentaren nicht zu ersehen, wer gestorben ist….und ich habe selber recherchieren müssen, weil mich sofort eine böse Ahnung überfiel.
Ich schrieb eine Freundin meines Halbbruders an…armseelig genug, dass ich das als Tochter tun muss….doch bis sie meine Nachricht gelesen hat, habe ich schon mit Google die Todesanzeige gefunden.

Danach bin ich erstmal heulend zusammengebrochen…eine Welt ist eingestürzt…eine Hoffnung zerstört…
Und eine Tatsache bestätigt: Ich war es nicht wert, dass man mich informiert.

Viele Tränen sind seitdem hier geflossen…Vor Wut, vor Frust, Trauer…

Der Anzeigentext ist für mich ein Schlag ins Gesicht…“Wir sind dankbar für Deine Liebe und Fürsorge“
Das habe ich nie kennenlernen dürfen…und ich weiß nichtmal warum…

Sie wird nie mehr erfahren, dass hier seit 7 Jahren ein Brief an sie liegt, den ich nur nicht abgeschickt habe, weil mein ehemaliger Therapeut mir gesagt hat, ich könnte den nicht abschicken.
Letztes Jahr hat dann meine neue Therapeutin den Brief gelesen und mit absolutem Unverständnis reagiert, weshalb ihr Kollege das gesagt hat.

Ja, der Brief liegt hier….und das wird er weiter tun…und sie wird ihn nie lesen und sie wird mir nie die Antworten geben, die ich für mein Seelenheil so dringend bräuchte.
Warum konnte sie mir keine Mutter sein?

Sie wird auch nie erfahren, dass das OEG mich als Opfer anerkannt hat…
Dass das, was sie als „Sowas kommt vor“ abgetan hat, hier in Deutschland als Straftaten angesehen wird und dass die körperliche und seelische Verfassung ihre Tochter schwer geschädigt ist durch ihr Versagen und allem, was dadurch anderen Menschen ermöglicht wurde. Sie hat mich nicht beschützt…
Sie wird auch nie erfahren, dass die Gutachter die innerfamiliäre Schädigung durch die Odyssee mit Mutter, ihrem Zuhälter und Verwandtschaft schlimmer einschätzen als die anderen jahrelangen, mir passierten, schlimmen Dinge und mir deswegen die Zuteilung eines GdS verweigern und ich jetzt mit Anwalt um mein Recht kämpfen muss.

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Ich habe heute nachgeschaut, was ich an dem Tag, an dem sie gestorben ist, getan habe…

Meine Schwester war hier…ihre andere Tochter, die sie genauso im Stich ließ wie mich…und wir haben das allererste mal gemeinsam Ostereier bemalt…etwas, was uns dank meiner Mutter und dem Rest der Sippe, wie viele übliche Geschwister-Dinge bisher versagt geblieben ist.

Meiner Schwester habe ich es noch nicht gesagt…auch meinem Sohn nicht…
für die beiden ist diese Frau nur eine Randfigur in ihrem Leben…

Ich wünschte, das wäre sie für mich auch.

Eure am Boden zerstörte Rapunzel