Sophie und ich sind gegenseitige Follower…
Nikes und Himbeeres Mut hat sie motiviert, ebenfalls ihre Geschichte hier zu veröffentlichen.

Wer mehr von Sophie wissen möchte, findet sie auf ihrem Blog Leben im Wandel 


 

Ja hallo, ich bin Sophie, 1980 geboren. 🙂
a)  Was ist Deine Geschichte?
Meine Geschichte scheint mir eher unscheinbar, eine von vielen, nur das ich anscheinend viel sensibler darauf reagiert habe. Vieles kann nicht erinnert werden, da es in den ersten Lebensjahren versteckt liegt.

Das danach würde ich zusammenfassen mit emotionaler Vernachlässigung, keine soziale Unterstützung in der Familie, vereinzelte ‚harte‘ Erziehungsmethoden, Zusammenleben mit gewaltbereitem Bruder in einem Zimmer und im Teenager-Alter eine längere Missbrauchsbeziehung mit einem älteren Mann.

Dann folgte für mich ein normales Leben. Studium. Arbeit. Freunde. Beziehungen. Reisen. Sportverein. usw.. Auffällig war nur, dass Partner immer deutlich älter waren und ich seit dem 16. Lebensjahr THC konsumierte – später dann auch andere Drogen.

Der Bruch und der Abschied von dem Leben wie ich es kannte, kamen 2011.
Ich denke, das kam, weil ich 2010 eine Suchttherapie machte und damit mein Wesen freilegte, was unter dem Betäubungsschleier lag.
Dann zum ersten Mal ein Abschied von einer Therapeutin, wo nicht ich entschieden habe zu gehen, sondern ‚jemand‘ geht. Die Beziehungen vorher hatte immer ich beendet. Das war ein Trigger zur frühkindlichen Vergangenheit und ab da standen die Türen nach innen weit offen.
b)  Wie war Dein Weg bis zur Diagnose?
Ich habe die ersten Jahre erst mal gar nicht verstanden, was mit mir los war. Konnte nicht richtig greifen, was ich eigentlich hatte, was meine ‚Krise‘ ausmachte. Ich hatte plötzlich Gefühle gehabt, so richtig in echt und im Körper, die kannte ich vorher gar nicht. Soviel Schmerz. Mir ist so, als habe ich die ersten Jahre gelernt, wie man überhaupt fühlt, was Gefühle sind.

Die Diagnosen waren zu Beginn oft Anpassungsstörung und im stationären Rahmen Borderline. Ich konnte damit nichts anfangen.

Ich hatte seit dem stationäre, teilstationäre und therapeutische Begleitung. 2013 nochmal versucht wieder zu arbeiten, bin aber gescheitert.

2014 auf einer Reha dann die Diagnose kPTBS. Konnte ich zum ersten Mal was mit anfangen. 2015 zum ersten Mal Bücher über Borderline gelesen und auch etwas mit anfangen können.
Nach und nach wuchs meine Wahrnehmung dafür, was nicht mehr geht, wo meine Einschränkungen liegen. Das hab ich irgendwie jahrelang nicht richtig wahrnehmen können. Komisch eigentlich.
c)  Und was bedeutet die Diagnose im Alltag für Dich?
Ich finds schön, was die Frage gerade bei mir auslöst.
Weil ich zuerst dachte, die Diagnose bedeutet eigentlich für mich im Alltag, dass ich Hilfe und Unterstützung bekommen darf. Das ich ‚Ja‘ sagen darf, dazu, nicht mehr alles alleine machen und schaffen zu müssen. Dass ich mich immer noch wundern darf, wenn ich Hilfe suche, mich traue nach zu suchen und sie tatsächlich zu bekommen. Da heilt auch ein Stück Vergangenheit bei.
Ich bin heute nicht  mehr alleine. Heute wird mir geholfen. Heute ist jemand da. Das ist immer wieder ein kleines Wunder für mich zu erleben.

Die Einschränkungen liegen vor allem in der Menge an Energie die mir zur Verfügung steht und in der verminderten Stresstoleranz. Mein Alltag braucht Entschleunigung von morgens bis abends. Wenn ich alles ganz langsam und bewusst mache, mir viele Pausen gebe, Ruheräume, alleine sein, Ausschlafen, Reizreduzierung, dann komme ich ganz gut durch die Tage und auch durch die Zeiten mit Flashbacks und kräfteraubender Wiederholung von schweren emotionalen Verletzungen im System. Ich fühle sehr viel. Weinen gehört fast täglich dazu.

Wenns mies läuft bin ich massiv erschöpft, liege viel herum, leide emotional sehr, kann mich schwer selbst versorgen, nicht das Haus verlassen, bin im Denken und in der Zeitwahrnehmung eingeschränkt und verändert und sozial sehr isoliert. Das sind ziemlich schlimme Zeiten. Schwer auszuhalten, immer wieder.
Das bessert sich gerade etwas durch die Einnahme von Medikamenten und das Akupressurklopfen.

Einschränkungen erlebe ich auch in Beziehungen. Nähe kann Panik auslösen, Angst machen, Hochanspannung erzeugen.
Alles nur in kleinen Dosen, mit Pausen dazwischen, dann geht es gut.

An Arbeit denke ich seit diesem Jahr nicht mehr. Habs lange als Ziel gehabt. Aber nun ist mir klar, wie viel Energie für Grundalltag und innere Heilung drauf geht.

So kann ich wirklich erstmalig in diesem Jahr 2017 sagen, ich bin zufrieden damit wie es ist und wie ich zurechtkomme in meinen Verhältnissen.
Ich bekomme Unterstützung durch das Betreute Einzelwohnen, finde Freude, Austausch und Lernfeld in einer Kontakt- und Begegnungsstätte, habe liebevolle Freunde und heute ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern und möchte bald irgendwo mit meinem neu gefundenen kreativen Hobby, in einer Werkstatt mehr Zeit verbringen, wenn es geht.

 

d)  OEG- wann hast Du davon erfahren?
Mit dem OEG habe ich mich noch nie beschäftigt. Mich betrifft das nicht.
e)  Was wünschst Du Dir an Verbesserungen?
Was ich mir echt von Herzen wünsche, ist, dass kassenfinanzierte Therapieverfahren sich um den Körperarbeitsansatz und das Einsetzen von Berührungen erweitern.
Ich habe so viel Zeit mit Reden und Distanz zwischen zwei Stühlen verbracht und bin mir dabei kaum näher gekommen. Seit dem ich den Körper mit einbinde, geht es stetig voran.