Ich freue mich, Euch heute die Geschichte von Nike näherbringen zu dürfen.
Nike ist ein Pseudonym für eine Frau Anfang 40.
Anonymität ist von mir garantiert…
Wer also mit Nike in Kontakt treten möchte, tut dieses bitte über die Kommentarfunktion hier unter diesem Beitrag.
a) Was ist Deine Geschichte?
Ohne Details, möglichst triggerfrei… (Ich hoffe es ist ok so, wenn nicht kannst du es gerne verbessern)
Hm, wo fange ich da am besten an?
Es ging alles schon recht früh los, meine ersten Erinnerungen fangen so um die 4 Jahre an. Meine Mutter war Borderlinern und hat sich dementsprechend verhalten. Sie zog gewalttätige Männer an, prostituierte sich und versuchte sich öfters auf drastische Weise das Leben zu nehmen.
Ich musste 4-mal die Grundschule wechseln.
Als ich 5 war, hatte ich das tolle Erlebnis Urlaub bei sadistischen Pflegeeltern zu machen, die Spaß daran hatten, Kinder mit Todesangst zu sehen.
Mein Stiefvater trat mit 6 in mein Leben und es kam so, wie es in den meisten Büchern steht, obwohl meine Mutter ihn mal erwischte, interessierte es sie nicht.
Es kam, wie es kam! Eines Abends kam es, dass mein Stiefvater ins Krankenhaus, im Koma lag und meine Mutter ins Gefängnis. Es war Notwehr, aber wäre ich nicht gewesen, wäre er heute wahrscheinlich tot.
Komisch, obwohl er mir das antat, was man Kindern nicht antun soll, wollte ich seinen Tod nicht. Das Ergebnis war, wieder umziehen, wieder ein neuer gewalttätiger Mann.
Ich hatte die Schnauze voll und ging ins Heim. Es passierte das, was schon abzusehen war. Ich nahm Drogen, schwänzte die Schule und am Ende hatte ich keinen Abschluss. Meine Heim-WG warf mich raus. Zu dieser Zeit brachte sich mein erster Bruder um. Irgendwie packte ich es und machte meinen Abschluss nach und hatte meine erste eigene Wohnung, das schlimme daran, meine Mutter lebte auch in diesem Haus.
Ich sag nur: back tot he roots.
Dann brachte sich mein zweiter Bruder um und ich brach komplett zusammen und wollte einfach nicht mehr leben.
Ergebnis: Intensivstation und Psychiatrie.
Die Ärzte sagten mir voraus, das ich nicht mehr lange leben werde, so oder so, schaffe ich es beim nächsten Mal. Ich war 20 und wurde bockig und dachte „nö, will ich nicht“.
Ich zog in eine Sozialtherapeutische WG, machte eine stationäre Therapie und eine ambulante im Anschluss. Bis heute wiederhole ich das immer wieder in regelmäßigen Abständen und es geht mir mittlerweile gut. Ich weiß das Trauma bleibt an einem kleben wie Pech, aber manchmal hilft ein wenig Lösungsmittel.
Ich erzähle nicht alles, das würde hier einfach den Rahmen sprengen.
b) Wie war Dein Weg bis zur Diagnose?
Der Weg war hart, mit 20 bekam ich erst die Diagnose: Depressionen, Bulimie, Bipolare Störung, bis sie sich dann auf Borderline geeinigt haben. Die PTBS war kein Gesprächsthema, bis zu meiner ersten richtigen Therapie.
Meine Borderlinestörung ist komplett geheilt, was ich sehr eigenartig finde, da es immer heißt, Persönlichkeitsstörungen wären nicht heilbar.
Jetzt, nach 20 Jahren, habe ich nochmal eine komplette Diagnostik über mich ergehen lassen. Ich bin einfach ein ausgeprägter ADHSler (ich habe mich auch immer gewundert, warum ich von Amphetaminen so ruhig wurde), der Pech hatte auch noch eine komplexe PTBS zu entwickeln.
Ich bekomme Medikinet und es hilft mir sehr gut. Ich traue mir mehr zu und bin nicht mehr ganz so überreizt. Ganz lässt sich das nicht eindämmen. Mittlerweile kann ich sogar arbeiten!
c) Und was bedeutet die Diagnose im Alltag für Dich?
Ich kann nicht da hingehen, wo viele Menschen sind.
Auch Tramfahren ist morgens eine Tortur für mich und muss immer am Ausgang stehen. Manchmal habe ich einfach Tage, da will ich nichts sehen oder hören.
Die meisten meiner Freunde sind sehr reflektierte Menschen und akzeptieren mich so wie ich bin. Das hilft mir sehr. Ich bin schon traurig darüber, dass manche Dinge einfach nicht gehen und ich auf mich achten muss.
Ich bin von Berlin nach Freiburg gezogen und das war eine sehr gute Entscheidung Ich bin nicht mehr meinen Triggern ausgesetzt und lebe am Stadtrand. Ich muss mich mittlerweile oft fragen, was ist ADHS und PTBS. Die Übergänge sind da sehr fließend.
d) OEG- wann hast Du davon erfahren?
Erst vor kurzem und ich weiß noch nicht ob ich das schaffe, da mittlerweile auch die Zeugen und Täter tot sind.
Ich habe erst vor ein paar Wochen einen Antrag für einen Schwerbehindertenausweis gestellt und ich wäre schon froh, wenn der ohne Stress durchgeht
e) Was wünschst Du Dir an Verbesserungen?
Das mehr PTBS Menschen mit Ihren Geschichten an die Öffentlichkeit gehen.
Ich erwische mich oft dabei, dass ich von anderen denke, deine Probleme möchte ich haben!
Was ich auch nicht mehr hören kann, ist dieser Satz, Vergangenheit ist Vergangenheit. Sag das mal meinem Gehirn!!
Es gibt in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig Aufklärung darüber, wie sich eine schiefgelaufene Kindheit oder wiederholende Traumata auswirken und was später für Folgeschäden auftreten können. Ich möchte einfach nicht mehr schief angekuckt werden, wenn ich z. B. auf Ämtern von meiner Diagnose erzählen muss, warum ich dies und jenes nicht machen kann.
Eins kann ich euch sagen, wir sind Überlebende und wir haben es bis hierher geschafft, das heißt, wir sind stark und mit den richtigen Strategien und Menschen, können wir auch ein schönes Leben führen.
7. Dezember 2017 at 14:38
Liebe Nike,
vielen Dank für Deinen Mut!
Deine Kindheit ist derartig von Gewalt und Missbrauch durchzogen, dass ich mich frage, wie man DAS überleben kann. Dagegen wäre meine Kindheit das reinste Paradies für Dich gewesen!
Mir ist bewusst, dass Vergleiche in dieser Hinsicht schwierig sind. Entscheidend ist ja immer, wie derjenige/diejenige damit umgehen kann.
Das ist ein Punkt, der oft an mir nagt: Vielen geht es einfach noch schlechter als mir – viel schlechter! (Aber es geht eben auch einer Menge Menschen noch viel besser, als mir. 😉 )
Sein Leben mit solch einer Vorgeschichte noch gut auf die Reihe zu bekommen, bedarf nicht nur immenser Kräfte. Es braucht auch viel Mut, Durchhaltevermögen, Kampfgeist und jede Menge guter & hilfreicher Partner rings um einen herum.
Ich beglückwünsche Dich dazu! Dir ist es gelungen, eine Art Leben „Nike 2.0“ auf die Beine zu stellen.
Hut ab…!
Liebe Grüße von Himbeere
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7. Dezember 2017 at 17:10
Hallo Himbeere,
vielen Dank für deine Liebe Antwort! Das war auch nicht einfach und hat viel Kraft gekostet. Ich bin auch ehrlich gesagt, ein sehr guter Verdränger, was mir aber auch oft hilft. Ich glaube jeder der sich mit sich selbst auseinandersetzt und reflektiert, kann es schaffen. Man muss es wollen und die Kraft dazu haben. Meine Therapeutin wirft mir oft das Wort Resilienz um die Ohren. Manche haben sie mehr oder weniger, aber ich bin fest der Überzeugung, das jeder sein Leben selber in der Hand hat. 🙂
Wenn ich den Menschen, die mir das antaten, die Macht gegeben hätte mich auch noch in meiner Zukunft zu beeinträchtigen und meinen Weg zu gehen, wäre ich heute nicht mehr da.
Was auch ganz wichtig ist, für mich, das es andere Menschen wie euch gibt und z. B. hier ihre Geschichte erzählen.
Ich schick ganz viel Kraft, wo auch immer meine her kommt 😉
Liebe Grüße
Nike
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8. Dezember 2017 at 9:58
In diesem Sinne:
Bitte folgt Nike und mir!
Brecht bitte Euer Schweigen!
Viel Kraft dafür sendet Euch Himbeere.
PS: @Rapunzel – Deine Geschichte lebt hier im Blog. Ich denke gerade, es macht vielleicht Sinn sie in Kurzform Deiner Sammlung noch mal mit beizufügen. 😎
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8. Dezember 2017 at 13:32
Ja Himbeere, vielleicht sollte ich das auch nochmal machen als Kurzzusammenfassung.
Danke für die Motivationsspritze an alle Leser, einschließlich mich.
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