Mit Angst und Panik wird Mobilität oft zur Qual…

Bus und Bahn? Nö!
Zug? Neeee!!
Flugzeug? Um Gottes Willen!!!

Also Zufuß, mit Zweirad oder mit dem Auto…oder gar nicht mehr.


Viele Nichtbetroffene unterschätzen grade in der heutigen Zeit, wo es möglich ist, große Distanzen von mehreren hundert Kilometern innerhalb weniger Stunden zurückzulegen, wie sehr eine Angststörung die persönliche Freiheit beschränken kann.

Agoraphobie, Panikstörung, generalisierte Angststörung, Sozialphobie, Klaustrophobie…
Angst hat viele Gesichter und viele Namen, aber speziell die aufgezählten haben eins gemeinsam: Mobilität im öffentlichen Raum wird zur Herausforderung.

Nichtbetroffenen fällt es oft schwer, unsere irrationalen Ängste und Gedankengänge zu akzeptieren, geschweige denn zu verstehen, wenn es um Mobilitätseinschränkungen geht.

Anders als beim Monotrauma haben unsere Ängste nicht mit der möglichen Wiederholung einer real erlebten Katastrophe zu tun, sondern wir erschaffen mit der Macht unserer Gedanken, Emotionen und Erfahrungen Szenarien, die uns in Panik versetzen. Es geht um Ohnmacht, nicht Entrinnen können…großes Katastrophendenken von der Blamage bis zur Todesangst.

Ich möchte Euch heute an meinem Gedankenkarussel in verschiedenen Alltags-Situationen teilhaben lassen.

Öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen war z.B. das erste, was mir durch meine Angst vermiest wurde.
Angefangen hat es mit der Straßenbahn, gefolgt von Bus und Zug…
Ich habe es im Herbst 1993 geschafft, 2 Stunden die Toilette im Zug zu besetzen und den Schaffner dazu zu bringen, das Fenster dort für mich zu öffnen, weil ich ihm vorgegaukelt habe, ich wäre schwanger.
Im Sommer 1994 habe ich nochmal probiert, eine Kurzstrecke mit dem Zug zu fahren, ich hatte mich überreden lassen. Es wurden ziemlich desaströse 15 Minuten für meinen Begleiter und mich.

Zu der Zeit war ich noch gar nicht in der Lage, zu erkennen, wie der Angstkreislauf beginnt. Ich konnte nicht ansatzweise erfassen, was mit mir passierte. Mir ging es einfach nur schlecht, mir war megaübel und meine Angst beherrschte mich.
Gefühlt waren die körperlichen Symptome VOR den Gedanken da.
Ich hatte das Gefühl…neee….ich hatte einfach nur Angst, dass irgendwas schlimmes mit mir passiert und ich nichts dagegen tun kann.

1994…das sind 23 Jahre bis heute…23 Jahre, in denen ich weder Bus noch Bahn fahren konnte. 23 Jahre, in denen jeder Schritt ausserhalb meiner Sicherheitszone nur mit genauem Abwägen von Pro und Contra und dem Ausarbeiten von Notfallplänen zu bewältigen war und wohl immer sein wird.

1994 habe ich wegen dieser Probleme dann den Autoführerschein gemacht, um überhaupt noch von der Stelle zu kommen. Meinen Arbeitsweg habe ich aber überwiegend mit dem Fahrrad zurückgelegt, da die Parkmöglichkeiten in der Innenstadt sehr begrenzt und auch teuer waren.

Das Auto garantierte nicht nur Mobilität, sondern wurde auch zum Rückzugsort und Fluchtfahrzeug, wenn die Angst mich einholte.
Und trotzdem suchten mich auch im Auto die Ängste heim. Bloß im Laufe der Jahre habe ich Routine bekommen und kenne meine Gedanken ganz genau, die unter anderem die Angst verstärken.

Tunnel: Werde ich die Länge des Tunnels schaffen? Was ist, wenn es mir plötzlich schlecht geht und ich anhalten muss? Wenn da dann kein Seitenstreifen ist? Werde ich einen Stau verursachen? Wird jemand in mein Auto reinfahren, wenn ich stehenbleibe?
Wird mir überhaupt jemand helfen können?

Stau: Wie komme ich von hier weg, wenn es mir plötzlich schlecht geht? Wie soll ein Krankenwagen rechtzeitig zu mir kommen? Was ist, wenn ich plötzlich anfange zu dissoziieren? Werden alle Menschen, die mich sehen, mich für total irre halten?

Ampel: Was soll ich machen, wenn es mir jetzt schlecht geht? Wenn mir übel wird und ich mich übergeben muss? Soll ich aus der Tür rauskotzen oder nur das Fenster runterkurbeln? Wie bekomme ich mein Auto sauber, wenn ich in mein Auto kotze? Was werden die anderen von mir denken? Was ist, wenn es Grün wird und ich nicht weiterfahren kann? Werde ich zum Hindernis? Werden die Leute sich über mich ärgern? Wer wird mir helfen?

Landstraßen: Was ist, wenns mir schlecht geht und ich anhalten muss? Gibt es einen Seitenstreifen? Kann ich ohne Seitenstreifen anhalten ohne einen Unfall zu bauen oder im Straßengraben zu landen? Wer wird mir helfen? Werde ich überhaupt Hilfe holen können mit dem Handy?

Ausserhalb des Autos dreht sich alles nur noch um die Entfernung, die ich im Notfall bis zum Auto zurücklegen müsste. Würde ich körperlich noch in der Lage sein, es zu meinem Auto zurück zu schaffen?  Jeder Schritt vom Auto weg muss auch wieder zurückgegangen werden, dementsprechend steigt meine Angst mit jedem Schritt und mit jedem Schritt werden meine Sehstörungen und der Schwindel entsprechend stärker.

Gleichzeitig ist es wahnsinnig wichtig, dass ich dem Auto und seiner Technik vertrauen konnte…eine Panne irgendwo da draussen? Eine Katastrophe!
Werkstatt und TÜV sind angstbesetzte Momente, ob mein Auto noch MEINEN Ansprüchen standhält, ob der TÜV das auch noch so sieht…und ob ich mir die Mobilität wegen teurer Reparaturen noch leisten kann.
Der extreme finanzielle Druck, ein Auto bei geringem Einkommen unterhalten zu müssen,  ist für Nichtbetroffene wahrscheinlich nicht nachvollziehbar.

Parkplätze sind strategisch wichtige Zwischenstationen, um den Alltag ausserhalb der eigenen vier Wände zu bestreiten. Blöd ist nur, dass es an wichtigen Dreh- und Angelpunkten in der Regel zu wenig von den heißbegehrten 10 QM gibt.
Selbst eine Wohnung kann nur angemietet werden, wenn auch ein Parkplatz fürs Auto vor der Tür GESICHERT ist. Enge Straßen mit 5 Parkplätzen für 20 Mietparteien zählen da nun nicht zu.
Ärzte können heute dank Google anhand der Parkplatzsituation ausgesucht werden.
Hatte ich früher Termine im Rathaus oder beim Arbeitsamt, bekam ich extra ganz früh die Termine. Denn ohne Parkplatz musste ich die Termine platzen lassen.

Aber in Zeiten, wo die Obrigen die Städte wieder zu grüneren Orten machen wollen, wird das Netz des Öffentlichen Nahverkehrs immer mehr ausgebaut und dafür die Parkplätze immer mehr reduziert.
Mit der Wertmarke für Behinderte mit den Merkzeichen G, aG, H, BL, um nahezu kostenlos die Öffis benutzen zu können, ist mir aber NICHT geholfen.
Für Behinderte mit dem Merkzeichen aG gibt’s noch die Behindertenparkplätze vor öffentlichen Einrichtungen.
Menschen wie ich, mit dem Merkzeichen G, gucken aber dabei in die Röhre und werden dank der Städteplanung vor unüberwindliche Probleme gestellt.
Der Orange Parkausweis ist als Erleichterung für diejenigen gedacht, die auch nur kurze Strecken zurücklegen können. Allerdings denken unsere Obrigen, dass solche Menschen es schon ordentlich mit körperlichen Mängeln zu tun haben müssen, vorzugsweise in den unteren Gliedmaßen, den Beinen. Dass aber auch Menschen mit bestimmten psychischen Störungen wie Schwindel, Dissoziationen, Sehstörungen, etc. nur kurze Strecken zurücklegen können, geistig aber fähig sind, selbst zum Rathaus oder zum Arzt oder zur Lebensmittelversorgung „anreisen“ zu können, soweit wird nicht gedacht.
Meinen Antrag auf den Orangen Parkausweis durfte ich nicht mal abgeben im Rathaus, weil ich die Kriterien nicht erfülle.

Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die Schwerbehindertenverbände, Sozialverbände, VDK, etc. darauf kommen, dass für Menschen mit bestimmten psychischen Erkrankungen dringend nachgearbeitet werden muss!

Aber ich schweife ab…zurück zur eigenen Mobilität.

All das, was ich bis jetzt geschrieben habe, ist seit 8 Jahren mit einer neuen Fußfessel „versüßt“ – Ohne Begleitung geht gar nix mehr!

Heute muss ich  wie ein kleines Kind fragen, wenn ich vor die Tür möchte oder muss.

Egal ob Grundversorgung, Amtsgang oder Arztbesuch….ist nicht eine Vertrauensperson bereit, mich zu begleiten, können diese Gänge nicht mehr eigenständig erledigt werden.
In Ermangelung an netter Herkunftsfamilie müssen nun Menschen dafür bezahlt werden, dass sie mich begleiten. Dafür wurde unter anderem die ambulante Wohnbetreuung installiert und einen Teil der Finanzierung zwacke ich von meiner Pflegestufe ab.
Für aktive Freizeitgestaltung bleibt da nicht viel übrig.
Mein äusserst kleines privates Umfeld kann und will ich nicht ständig damit belasten. Ausserdem schafft dieser Begleit- Zwang enorme Abhängigkeiten, die ich als KPTBSlerin absolut nicht vertragen kann.

Besonders mies wird es aber, wenn ich instabil bin…und sowas kommt ja in regelmäßigen Abständen vor.
Dann halte ich es auch nicht im Auto aus, fühle mich wie gefesselt, ausgeliefert und jeder Kilometer wird zur Qual.

So habe ich es erst jetzt, nach 1,5 Jahren (!) geschafft, endlich mal wieder die Stadtgrenze meiner Heimatstadt zu überqueren.

Aktuell 17 Monate Stadtarrest – inkl. unzählige Tage Stubenarrest!
In dieser Zeit hatte meine beste Freundin ein Aneurysma und mehrere Schlaganfälle und ich habe sie nicht besuchen können.
Eine andere Freundin ist verstorben und ich war froh, dass die Beerdigung nur im engsten Familienkreis abgehalten wurde und ich letztendlich nicht teilnehmen musste. Doch bis das klar war, habe ich mich mit einer Menge inneren Konflikten gequält, weil ich sie gerne auf ihrem letzten Weg begleitet hätte.

Alles nur eine Frage des Willens? Nein!

Motivation ist sicherlich ein Aspekt, doch es gibt noch viele andere Faktoren:
Tagesverfassung, allgemeine Stabilität, Körperliche Verfassung, Stimmung im Umfeld, Wetter, welche Strecke zurückgelegt werden muss, das Ziel und mit wem und mit welchem Fahrzeug gefahren wird.

Womit ich mein Gefängnis jetzt verlassen habe?

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Ja, ich habe mir ein altes Wohnmobil geleistet von meinem letzten Geld.
Alt, langsam, rostig und laut, aber meins…

Wie ich darauf gekommen bin?
Ich hatte früher, als ich „nur“ Panikattacken hatte, auch Wohnmobile und hab es damit sogar bis in die Türkei geschafft.
Lange habe ich überlegt, was ich beim Fond SMB beantragen könnte. Was mir wirklich im Alltag helfen würde. Und da ist mir das wieder eingefallen.
Letztes Jahr hatte ich schon einen Kastenwagen, doch der war aufgrund des Zustandes letztendlich nicht das richtige für mich und er wurde wieder verkauft.
Aber es war der Ansporn, endlich den Antrag für den Fond auszufüllen. Ich habe jetzt ein Wohnmobil beim Fonds beantragt…ein jüngeres, alltagstauglicheres.
Mal sehen, was die dazu sagen.

Und kaum hatte ich den Antrag nach 2 Jahren einstauben endlich weggeschickt, lief mir unsere Schildkröte über den Weg. Schnell die letzten Mücken zusammengekratzt und jetzt gehört sie mir.
Mein Freund versucht nun all die altersbedingten Macken auszumerzen…und ich bin die Hilfskraft dabei.

Jetzt muss mir meine „Schildkröte“ dazu verhelfen, mich im Alltag wieder freier bewegen zu können.

Et voila! An Christi Himmelfahrt habe ich es geschafft, die Stadt zu verlassen und ein Ziel (Campingplatz) in 30 Kilometern Entfernung anzusteuern.
Natürlich saß ich megaangespannt auf dem Beifahrersitz und meine Gedanken schlugen Saltos. Autobahn war verboten und aufgrund des Feiertages waren die Straßen wie erhofft auch leerer. Als wir am Ziel ankamen, bin ich in Tränen ausgebrochen…
17 Monate Knast sind doch eine verdammt lange Zeit.

Leider konnten wir dort nicht übernachten, weil alle Plätze ausgebucht waren und so sind wir zurück….und jetzt nicht lachen….Wir haben auf dem Parkplatz der LWL- Klinik die erste Übernachtung im Wohnmobil gehabt. Ich war einfach nicht gewillt, nach diesem großen Erfolg unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren.
Mein Freund macht echt was mit mit mir 😉

Und seitdem ist etwas das Eis gebrochen…ich fahre mit zum Einkaufen…selbst in den Baumarkt. Und den Kilometer zum Discounter habe ich sogar schon selber mehrfach am Steuer gesessen. Und bin auch noch 500m weiter gefahren….und noch ein bischen….
Ok, mehr als 2 Kilometer schaffe ich (noch) nicht, aber ich bin ja auch lange nicht selber gefahren…und dann gleich auf einem fast 6 Meter langen und 2, 30 breiten Wohnmobil.
Aber tröstlich ist…ich habe es nicht verlernt auf so einem großen BrummBrumm und das macht mich schon ein bisschen stolz.

Und ich war endlich bei meiner besten Freundin an ihrem Geburtstag. Ich hatte es ihr nicht verraten, weil ich nicht sicher war, ob ich das packe…meine Geburtsstadt triggert mich einfach zu sehr. Ausserdem lauert da ein Stückchen Autobahn, mit dem ich sehr schlechte Erfahrungen habe und welches mir eben vor 8 Jahren (übrigens auch an ihrem Geburtstag) das Autofahren versaut und das B im Schwebi beschert hat.
Aber ich habe es gut überstanden, sogar ohne Ablenkung durch Spiele auf meinem Tablet….und als ich vor ihrer Tür stand, hab ich erstmal ordentlich Pipi in den Augen gehabt. Ich hab sie sooo lange nicht gesehen und die gesundheitlichen Ereignisse der letzten Jahre haben sie schon ordentlich gezeichnet.

Interessanterweise hat sie steif und fest behauptet, dass sie es gewusst hat, dass ich kommen werde. Da wusste sie jedenfalls mehr als ich 😉

Ihr fragt Euch sicherlich, was das Wohnmobil für mich tut, dass ich jetzt so „mutig“ werde.
Das Wohnmobil gibt mir die Chance, mich unentdeckt im öffentlichen Raum zu bewegen. Ich bin nicht mit dem Gurt gefesselt…wenn es eng wird für mich, kann ich einfach aufstehen und nach hinten gehen…und mich da auch hinlegen. Ich könnte malen, basteln, mich ablenken…die Rollos runterziehen und die Umwelt aussperren.
Ich habe alles mögliche an Skills in den Staufächern, ich habe ein Klo, ein Waschbecken, was Kaltes zu trinken….das Womo hilft mir, die Situation aktiv verändern zu können. Es verhindert das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht und Hilflosigkeit,

Das Wohnmobil ist für mich ein Turm mit Rädern!

ES ist für mich jetzt das Tor zur Freiheit.
Mal schaun, wie weit ich damit komme. Drückt mir die Daumen!

Eure derzeit äusserst aussenaktive Rapunzel