Auch heute sitze ich wieder vor dem Fernseher und schaue mir die Umzüge an…erst Köln, dann Düsseldorf, dann den Rest…das favorisierte Fernsehprogramm ist heute den ganzen Tag WDR3.

Und meine Gedanken schweifen ab…


 

Ich hatte das Glück/ Pech, in meiner Schulzeit oft Rosenmontag krank  zuhause gewesen zu sein. Entweder hat meine Oma sich deswegen frei nehmen müssen oder später als Schlüsselkind habe ich den Rosenmontag alleine zuhause gehangen und natürlich die Rosenmontagsumzüge im TV angeschaut.

Dann saß ich da mit Fieber, Bronchitis und oft auch Ohrenschmerzen im Wohnzimmer…im Schlafanzug und Bademantel, schön eingemummelt auf dem Sofa.

Das ekelhafte, wasserlösliche, pinkfarbene Antibiotikum (welches zwar lecker riecht, aber so richtig ekelig bitter schmeckt) stand neben der Teetasse und der Thermoskanne auf dem Tisch.
Das Antibiotikum war mal so richtige Kinderverarsche…aber wir Kinder sind ja nicht blöd und merken uns das, dass der pinke Inhalt im Glas widerlich schmeckt.
Somit war es echt ein Drama, wenn ich das Glas austrinken musste….nur zusammen mit einem Biss in eine Banane und Nase zuhalten bekam ich das Zeug runter…

Trotzdem verfolgte ich mit (fieber)glänzenden Augen das Treiben in den Straßen von Köln…die großen Mottowagen, die Pferde, die tollen Kostüme der Vereine und natürlich auch die tollen Kostüme der Zuschauer am Straßenrand.
Und ich beneidete alle Kinder und Erwachsenen, die im Regen von Kamelle, Schokolade und Blumen standen…die mitgebrachten Taschen damit gefüllt…und ganz Pfiffige hatten einen umgedrehten Regenschirm zum Abgreifen der Leckereien….obwohl da meldete sich schon mein Gerechtigkeitssinn und ich fand das ziemlich unfair.

Ich habe immer gesagt, wenn ich mal groß bin, dann werde ich Rosenmontag auch mal toll kostümiert in Köln am Straßenrand stehen und die Süßigkeiten fangen.
Ich kanns Euch jetzt schon verraten…es ist nie soweit gekommen.

Ich habe es allenfalls abends in die hiesigen Diskotheken an Rosenmontag geschafft, mein Wohnort ist nicht grade eine Karnevalshochburg…und Frei gabs dafür auch nicht.

Aber zurück zur Kindheit…

Es gab immer tolle Kostüme im Einzelhandel…ganze Sonderabteilungen wurden zu Karneval in den Kaufhäusern geöffnet…mit Kostümen ohne Ende, Perücken, Hüte, Schmuck…Krönchen….hach, war das immer schön anzusehen….
Beim Ansehen blieb es aber auch, denn meine Oma hatte gar nicht das Geld , mir davon was zu kaufen.

Meine Oma hat mir die Kostüme selber genäht…heute weiß ich zu schätzen, was sie damals für mich alles getan hat, aber in dem Alter fehlte mir dafür der Blick. Ich sah natürlich nur, was ich NICHT kriegte.
Sie saß nächtelang an den Kostümen.
Wir haben uns dafür im Kaufhaus Schnittmuster geholt und Stoff gekauft….ich hasste schon das Anprobieren und vor allem das Abstecken.
Und natürlich war das Ergebnis niiieeee so bombastisch, wie ich es mir in meiner kindlichen Fantasie ausmalte. Aber sie waren individuell und meine Freundinnen haben sich diese Kostüme im Folgejahr ausgeliehen 😉

Ich habe da mal ein paar Bilder zu rausgesucht.

Rapunzel als Dornröschen…dieses Motto wurde damals im Kindergarten vorgegeben.
Hmmm…steckte verdammt viel Arbeit drin, aber hatte nichts gemeinsam mit meinen kindlichen Vorstellungen, wie märchenhaft so ein Dornröschen-Prinzesschen aussah.

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Rapunzel als Spanierin…statt Kastagnetten gabs lackierte Walnüsse.
Und eine blonde , kurzhaarige Spanierin war jetzt auch nicht perfekt…aber Perücke gabs nicht..zu teuer 😉

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Rapunzel als Bauchtänzerin…im Winter natürlich mit Pulli drunter….das Kostüm mochte ich allerdings….und auch heute habe ich noch ein Faible für Bauchtanz und orientalisches Flair und die passende Kleidung und BlingBling…

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Dann hatten wir noch Mannequin , Herzdame, Zigeunerin…ach ja…und irgendwann mit 12 oder so passte ein Cowboyhut aus der Karnevalsecke ins Budget , denn Jeans, Stiefel und Hemd hatte ich im Kleiderschrank.

Als Rapunzel bin ich übrigens nie gegangen 😉

In meinen Jugendzeiten konnte ich dann schon besser aufrüsten…allerdings auch selten mit was Gekauftem…Farb- und Glitzerspray war finanziell möglich und mehr mochte ich auch nicht mehr ausgeben…da ging ich dann als Rockerin, Riesenbaby, Schwein im Weltall (jawoll)…auch mit zweckentfremdeten Selbstgenähtem….meine Oma hat zu der Zeit schon meinen (mich von anderen abgrenzenden) Geschmack bedienen dürfen.
Ich hatte grundsätzlich immer was anderes an als die anderen…das zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch.
Trägt es jemand anders auch in der gleichen Zusammenstellung, dann ziehe ich es so nicht mehr an.
Ich hab mich stets anders gefühlt, war immer eine Randfigur….und selbst bei Punkern oder anderen Protestgruppierungen hätte ich mich nicht eingliedern können.

Aber zurück zum Karneval…
Als ich so 18-19 war, bin ich das erste mal zu einer traditionellen Weiberfastnachtsveranstaltung in der hiesigen Karnevalshochburg in 25 Kilometer Entfernung mitgefahren. Ich war neugierig, weil da „alle“ immer hinfuhren…ja, sich sogar dafür frei nahmen oder am nächsten Tag eben „krank“ waren.

Wir waren 4 Mädels…alle nicht wirklich verkleidet und fuhren da nach Feierabend am frühen Abend hin.

Und seitdem war ich nie wieder da!!!

Ich fand es schrecklich….obwohl ich zu der Zeit noch nix mit ausgebrochener akuter PTBS zu tun hatte…aber ich wurde getriggert ohne Ende!!

Allein der Kampf, sich in dem Festzelt durch die Massen zu bewegen…
Alle überdreht, am Jodeln, am Mitsingen und Schunkeln, Viele besoffen…
Ich wurde begrabscht, man versuchte mich zu küssen oder mich eben festzuhalten und zu umarmen . Ich habe richtig Angst bekommen! Und dann habe ich , da ich ja nicht flüchten konnte ( ich war ja nur Mitfahrerin), den Rest des Abends im Festzelt ganz hinten am Ende der Theke, in einer Nische verbracht…links die Theke, rechts Getränkekisten, hinter mir die Zeltwand und von vorne schirmten mich die Freundinnen ab, damit keiner mehr an mich rankam.

Mein Adrenalin steigt jetzt schon beim Schreiben an….

Ich habe draussen gesehen, wie Päärchen zwischen den Zelten und in den Büschen am Knutschen , Fummeln und mehr waren…für mich war das ein Alptraum!
Sodom und Gomorrha vor meinen Augen!

Seitdem ist Karneval live für mich gestorben, zumal es heutzutage ja noch übergriffiger ist als vor 30 Jahren…Geht das überhaupt? Und ich frage mich, wie die Frauen in der Menge eine Armlänge Abstand wahren können oder ob die alle Nerven wie Drahtseile haben.
Im Fernsehen haben sie vorhin Frauen danach gefragt, ob sie Pfefferspray dabei haben.
Ich könnte das Wissen um mögliche Übergriffe nicht aushalten und würde auch ohne PTBS und Panikattacken nicht mehr an solchen Veranstaltungen teilnehmen.

Aber ich sitze heute jedes Jahr vor dem Fernseher, schaue mir die Umzüge an, esse Bananen und warte auf den Prinzen.wp_20170227_005

Alaaf und Helau

Eure Rapunzel

 

UND JETZT ALLEEEEE MITSINGEN !!
Volle Pulle Aufdrehen…passt irgendwie zu uns allen….