Telefonat1


Ich fand meine Mutter als Kind superhübsch, sie hatte tolle lange schwarze Haare, war immer chic gekleidet und ich hätte gerne auch so ausgesehen. Meine Haare waren kurz, nachgedunkelt und ich sah aus wie ein Junge.

Meine Vernunft sagt mir heute, halt Dich fern von ihr, sie wird sich nicht mehr ändern und jetzt, mit 49 Jahren brauchst Du sie auch nicht mehr.

Sie hat mich um mein Leben und meine psychische Gesundheit betrogen…sie hat mich um meine Familie betrogen, um meine Schwester, meinen Halbbruder  und sämtliche Verwandte, egal ob mütterlicherseits oder väterlicherseits. Und meinen Sohn hat sie gleich mitbetrogen. Auch er muss ohne die Familie seiner Mutter auskommen.

Ich war grade in der Ausbildung, als sie sich wieder meldete…nach fast 10 Jahren.
Ich kam aus der Mittagspause zurück in die Parfümerie und die Abteilungsleiterin sagte mir, es hätte jemand für mich angerufen. Ich war verwundert, wer das wohl war, denn ich kam grade von meiner Oma (wir haben neben meinem Ausbildungsplatz gewohnt).
Da klingelte das Telefon wieder…ich ging ran…
„Weißt Du, wer hier ist?“ fragte mich eine fremde Frauenstimme am anderen Ende des Apparates. Ich hatte keinen blassen Schimmer und verneinte….
„Ich bins, Deine Mutter“
Mir hat es fast die Beine unterm Körper weggezogen.

Nach 10 Jahren platzte diese Frau vollkommen unempathisch an meinem Arbeitsplatz wieder in mein Leben…so als wäre es das Normalste der Welt. Sie hatte mich in der Innenstadt gesehen, sie arbeitete dort bei einem Bäcker….

Ich habe nicht viel mit ihr am Telefon gesprochen…ich ging in den Aufenthaltsraum und war nur noch am Zittern und Weinen. Der Geschäftsführer setzte sich zu mir und fragte, was los ist. Ich gab ihm einen knappen Umriss der Situation…und -ACHTUNG Konditionierung- ja und ich dachte nur daran, dass diese Frau eventuell auch an meine Schwester herantritt. Wieder stand meine Schwester sofort im Focus bei mir! Ich musste sie schützen, an mich habe ich gar nicht gedacht.

Der Geschäftsführer rief meine Mutter an und vereinbarte sofort ein Treffen mit ihr.
Er kam zurück und beruhigte mich, dass meine Mutter meine Schwester in Ruhe lassen würde.
Einmal traf ich mich dann mit ihr abends nach Feierabend, in einem Cafe. Ich war sehr aufgeregt und versuchte krampfhaft, möglichst erwachsen zu erscheinen.
Sie brachte mir ein kleines Fotoalbum mit, mit Photos von meiner Schwester und mir als Babys und auch Bilder, auf denen meine Mutter zu sehen war. Ich habe die ganzen Jahre nicht ein Bild von meiner Mutter gehabt. Meine Oma hatte alle vernichtet.
Dieses Album füllte ein bisschen den Teil meines Kinderdaseins, an den ich mich aufgrund des jungen Alters nicht erinnern konnte. Das Album habe ich heute noch.
Ich habe mich nicht wirklich getraut, meiner Mutter die Meinung zu geigen und über meine schweren Jahre zu sprechen. Es war einfach ein befremdliches, aber wärmendes Gefühl in mir, dass meine Mutter neben mir saß.
Ein weiteres Treffen gab es nicht mehr…eines Tages war sie aus der Bäckerei verschwunden, ohne mir ein Wort davon zu sagen. Sie ließ mich wieder zurück.

Es sollten nochmal fast 10 Jahre vergehen bis zu unserem nächsten Wiedersehen.

War es Gottes Wille? War es Zufall? Oder hatte der Teufel seine Hand im Spiel?

Mein Leben lief 1993 grade komplett aus dem Ruder, ich hatte seit ca. 3 Monaten mit meinen neu aufgetretenen Panikattacken zu kämpfen, ich war komplett am Ende…
Darum konnte ich auch meine beste Freundin nicht im Krankenhaus besuchen.

Sie hatte sich im Raucherraum mit einer Mitpatientin angefreundet und erzählte öfter was von mir und meinen Problemen. Und nach ein paar Tagen meinte diese Mitpatientin:
„Ist Deine Freundin am 14.11. geboren?“
Tja…meine beste Freundin hatte sich im Krankenhaus mit meiner Mutter angefreundet und rief mich dann auch sofort an.
Ich drohte Ihr….Ich würde die Freundschaft sofort beenden, wenn sie versucht, ohne mein Wissen ein Treffen mit meiner Mutter zu arrangieren. Ich wollte diesen Stress nicht wieder in mein Leben lassen.
Ich bekam die Telefonnummer von meiner Mutter, rief sie an und schrie ihr ins Telefon, dass sie sich von mir fernhalten soll und knallte den Hörer auf.

Ca. 2 Wochen später klingelte es abends an meiner Tür…ich ging an die Sprechanlage, um zu hören, wer da ist. Vor meiner Tür stand mein Halbbruder.
Ich dachte, es gibt jetzt Ärger wegen dem unfreundlichen Telefonat und schickte meinen Mann vor, um meinen Halbruder zu fragen, was er will.
Mein Halbbruder hatte erst jetzt erfahren, dass er überhaupt 2 Halbschwestern hatte…
Er kannte Kleinkinderbilder von uns, aber meine Mutter hatte ihn angelogen und gesagt, wir wären entfernte Cousinen.

Da stand dieser 17 Jährige vor meiner Tür, mit großen Augen, sichtlich gestresst und aufgeregt, mit einem Blumenstrauss bewaffnet und seine Freundin als Beistand daneben…Ich konnte ihn nicht abweisen. Das brachte ich nicht übers Herz.

Und natürlich kam es dann Wochen später auch zu Kontakt mit meiner Mutter.

2 Jahre später wurde mein Sohn geboren und neben einer Uroma hatte er dann auch zwei Omis….Dem Jungen zuliebe hielten auch alle an seinem Geburtstag die Füße still ohne sich zu zerfleischen…Meine Oma hasste meine Mutter und umgekehrt sah es auch nicht besser aus. Waffenstillstand halt…

Meine Reihenfolge war klar und das habe ich meiner Mutter von Anfang an mitgegeben:
An erster Stelle steht meine Oma! Sie hat mich großgezogen und sich um mich gekümmert!

Und so habe ich auch gehandelt…Meine Oma lebte schließlich mit in meinem Haus. Heiligabend wurde also zuhause gefeiert und erst am 1. Weihnachtsfeiertag sind wir zu meiner Mutter gefahren. Meine Oma hatte immer Vorrang, übrigens auch bei meinem Sohn.

Bis 2007 habe ich mich bemüht, die Kluft zwischen uns zu überbrücken, doch ich brachte schon das Wort Mama nicht über die Lippen. Ich sprach sie immer mit Vornamen an.

Wir haben es wirklich auf ein oberflächliches Level von Normalität gebracht.
Ganz die brave Tochter bin ich mind. einmal die Woche zu meiner Mutter gefahren, habe bei Geburtstagen die Kellnerin gespielt und meine Mutter konnte mit ihrer großen hübschen Tochter angeben.
Mir ist gar nicht aufgefallen, wie einseitig das Ganze eigentlich war.
Dass meine Mutter nicht so oft zu uns kam, habe ich darauf geschoben, dass sie nicht immer einen Wagen zur Verfügung hatte und eben, weil meine Oma ja auch da war.

Bewusst wurde es mir erst, als ich 2006 mit meinem Sohn und meiner Oma oben an die Ostsee zog, weil ich dank der PTBS nicht mehr arbeitsfähig war und mein Haus nicht mehr halten konnte. Immerhin hat meine Mutter einen Nachmittag geholfen, ein paar Kartons einzupacken.
Während ich danach noch Weihnachten die 400 Kilometer nach NRW gebrettert war mit meinem Sohn, um ausnahmsweise Heiligabend mal bei meiner Mutter zu verbringen und danach meinen Sohn bei seiner Schwiegeroma und Papa abzuliefern, waren meine Mutter und auch mein Halbbruder nicht ein einziges Mal zu mir gekommen. Woanders hin haben sie es geschafft, nur zu mir nicht.
Aber zum runden Geburtstag meiner Mutter wurde ich schon fest verplant als Thekenkraft. Sie wusste, dass ich kein Geld habe für die Fahrt, aber das war egal.
Mein Sohn wurde dann aber krank und ich brauchte nicht fahren.
Ab und an gab es Telefonate, das wars.

Das letzte Telefon- Gespräch mit meiner Mutter hatte ich im August 2007, 3 Monate nach dem Tod meiner Oma. Sie wussten, wie krank ich bin, dass ich vollkommen allein mit meinem Sohn da oben an der Ostsee festsaß, dass ich vor Trauer kaum gradeaus gucken konnte.
Das habe ich ihr an den Kopf geworfen, dass sie doch wohl einmal die Woche an ihre Tochter denken und sich mal 5 Minuten Zeit nehmen könnte, um mich anzurufen.
Sie konterte damit, dass sie immer an 2. Stelle nach Omi kam…
Ihre letzten Worte zu mir waren:  „Wenn Du zurück nach XX kommst, fangen wir nochmal ganz von vorne an“

Seitdem habe ich von ihr nichts mehr gehört….und auch mein Sohn nicht.
Nach dem Geburtstag von meinem Sohn habe ich mich nochmal getraut und eine SMS geschrieben. Wenn sie doch Probleme mit mir hätte, mein Sohn könnte doch nix dafür und sie sollte ihn nicht dafür bestrafen.

Es kam nie eine Antwort zurück.

Es scheint, mit meiner Oma ist auch der Anreiz gestorben, mich sehen zu wollen.

Ich musste 2008 in Insolvenz…wegen einer OP an meinem Hund hatte ich mir 2005 vierhundert  Euro  geliehen von ihrem Mann…ich hatte immer gesagt, ich zahle das zurück, innerhalb der Familie macht man keine Schulden.  Doch 2008 habe ich dann das erste bewusste Statement gegen die Familienbande gesetzt und diese 400 Euro mit in die Insolvenzsumme fließen lassen. Da die Gläubiger dann ja Post bekommen, war es klar, dass sie dann auch meine neue Adresse kannten…aber nix rührte sich.

Einmal habe ich sie noch gesehen, 2014 …vor LIDL…ich saß im Auto und sie parkten direkt vor mir. Sie haben mich nicht gesehen, ich bin auf Tauchstation gegangen.

Das Gedicht oben habe ich Winter 2012 geschrieben. Da war ich so down, dass ich wegen hohem Suizidrisiko in der Geschlossenen gelandet bin. Das Bild ist aus der Zeit, wo meine Schwester und ich mal kurz das Familienleben genießen durften.

Nächstes Jahr sind wieder 10 Jahre rum…und egal, was alles passiert ist, ganz ganz tief in meinem Inneren rufe ich weiterhin nach meiner Mama…

Eure Rapunzel
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