Was war zuerst da?
Das Huhn oder das Ei?


Diesen Beitrag schiebe ich seit einem Jahr vor mir her, einfach, weil er für mich so persönlich ist. Aussenstehende würden es wohl als „besondere Betroffenheit“ bezeichnen.
Doch da mir in dieser Woche grade wieder eine Bekannte erzählt hat, dass sie eine OP erleben musste, bei der die Narkose nicht so gewirkt hat, wie sie soll und meine Bekannte vollkommen handlungsunfähig diese OP miterleben musste, ist dieser Beitrag mehr als fällig.

PTBS und Narkosen- eine schwer auflösbare Wechselbeziehung

Gebe ich in eine Suchmaschine die Begriffe „PTBS“ und „Narkose“ oder „Operation“ ein, dann bekomme ich eine Menge Treffer. Sehr erschreckend!

Es gibt allerdings 2 konträre Verbindungen.
Entweder entstand durch eine Narkose oder Operation eine Posttraumatische Belastungsstörung oder betroffene PTBSler berichten von extremen Ängsten, weil eine Narkose ansteht. Besonders die Betroffenen mit Dissoziativen Störungen oder einer DIS (Dissoziative Identitätsstörung/Multiple) haben Sorge, ob alle Anteile in Narkose versetzt werden können.

Warum sind Narkosen so Risikobehaftet?
Schaut man sich so einen typischen Anästhesie- Aufklärungsbogen an, liest man schon von möglichen Komplikationen, die aber alle organische Folgen sind.
Da wird von Übelkeit, Schluckbeschwerden, Kopfschmerzen, etc. berichtet.

Von psychischen Folgen oder der fehlerhaften Narkose, bei der der Patient eben nicht in die gewünschte Bewusstlosigkeit fällt, liest man nix!
Im Gegenteil, solche Folgen werden von vielen Anästhesisten sogar ganz frech verneint und Patienten, die nach dem Eingriff den Ärzten davon berichten, sogar abgeschmettert, das könne gar nicht sein.
Meine Bekannte konnte aber wiedergeben, worüber das OP-Team während der Operation gesprochen hatte….dann war großes Schweigen!

Mir ist ähnliches passiert in den 90ern… Ich hatte seit Kindesalter an immer heftigste Magenschmerzen, die mich auch zu stationären Aufenthalten zwangen.
4 Magenspiegelungen mit Dormicum und anderem Zeugs innerhalb von 2 Jahren in 2 verschiedenen Krankenhäusern sind gescheitert, bzw. von heftigsten Abwehrreaktionen meinerseits begleitet gewesen, so dass mich das Team festhalten musste, damit ich mich nicht selbst gefährde. Sie konnten mich nicht wirklich lahmlegen und mussten abbrechen…Doch thematisiert wurde das nach den Magenspiegelungen nicht, selbst die blauen Flecken an meinen Armen vom Festhalten wurden weggeschwiegen.

Es wurden damals paradoxe Reaktionen auf Valium als Grund für die Misserfolge diagnostiziert. Nur ein Oberarzt erwähnte in den OP-Berichten, dass ich mich massivst gegen das Einführen des Schlauchs gewehrt habe. Und meiner Oma, die mich damals begleitete, teilte er mit, dass ich im Unterbewusstsein sehr starke Ängste haben müsste, die die Betäubung aushebeln würden.
Nundenn…nach der 4. Magenspiegelung traten erstmals die massiven Panikattacken bei mir auf.
Mein Leben ist seitdem im Eimer! Ich war 24 und dank der Kombination Narkose/ Schlauch in den Hals schieben/ Festhalten retraumatisiert!
Hatte ich bis dahin meine traumatischen Erlebnisse aus meiner Kindheit einigermaßen im Griff und konnte mich zumindest draussen in der Gesellschaft unerkannt bewegen, war es danach schlagartig damit vorbei. Die Magenschmerzen sind übrigens psychosomatisch und eine Folge meines Traumas.
(Jetzt beim Schreiben steigt schon mein Adrenalin)

Ich bin echt fassungslos, wie Anästhesisten derartige Vorkommnisse auch heutzutage immer noch ignorieren oder gar wegschweigen.
Haben die Ärzte kein Internet, um sich zu informieren? Oder sind sie wirklich allwissend und stehen mit Gott auf einer Stufe?

Dabei braucht man nur bei Wikipedia nachschauen.

Intraoperative Wachheit (engl. Awareness) liegt vor, wenn ein Patient während einer Allgemeinanästhesie (Narkose) seine Umwelt teilweise oder vollständig wahrnimmt oder Aufforderungen aktiv befolgt. Es werden intraoperative Zustände von Wachheit ohne Erinnerung von solchen mit unbewusster (impliziter) und bewusster (expliziter) Erinnerung im Nachhinein unterschieden, wobei die meisten Betroffenen zur ersten Gruppe gehören.

Wenn keine besonderen Risiken vorliegen, treten Wachphänomene mit einer Häufigkeit von ein bis zwei Fällen pro 1.000 Narkosen (0,1 bis 0,2 %) auf.
Bei Kindern ist das Risiko für ein solches Ereignis jedoch um das 8- bis 10-fache erhöht.[1] Eine neuere Studie aus Großbritannien kommt auf eine Häufigkeit von 1:15.000, sofern die Patienten nicht befragt werden, sondern die Awareness selbstständig mitteilen.[2] Ein erhöhtes Risiko besteht bei Notfalleingriffen, Schnittentbindungen, herzchirurgischen Eingriffen, Eingriffen in der Nacht, schwerkranken Patienten mit eingeschränkter kardiovaskulärer Reserve (ASA-Status IV, V), Drogenabhängigkeit, Patienten mit chronischen Schmerzen, zuvor stattgehabte Episoden von intraoperativer Wachheit, dem Einsatz vom Muskelrelaxanzien, bei total intravenöser Anästhesie und fehlender Prämedikation mit einem Benzodiazepin.

Das Erleben von Awareness ist sehr variabel und kann Hör- und Sehwahrnehmungen und die Empfindung von Schmerz, Lähmung, Hilflosigkeit und Angst umfassen.
Die Rekonvaleszenz nach dem Eingriff kann deutlich beeinträchtigt sein (akute Belastungsreaktion), in der Regel ist ein Erleben von intraoperativer Wachheit aber nicht mit längerfristigen Folgen assoziiert.
In Einzelfällen kann es zu Ausbildung einer behandlungsbedürftigen Posttraumatischen Belastungsstörung kommen. Dies kann auch durch Wachheitszustände ohne bewusste Erinnerung verursacht werden.

Quelle: Auszug von Wikipedia

Es gibt zuhauf Menschen, die durch derartige Erlebnisse während der OP schwer traumatisiert wurden, auch ohne Vorbelastung.
Niemand möchte geistig voll da sein, gefangen im eigenen Körper, während das OP- Team sich über einen beugt und irgendwo an einem rumschnippelt. Und das Schmerzempfinden ist in diesen Fällen meistens auch nicht lahmgelegt….doch man ist nicht fähig zu schreien.

Wikipedia verrät, dass 1-2 Fälle pro 1000 Narkosen auftreten, bei Kindern um das 8fache erhöht!
Also kommt man dazu schneller als zu einem Lottogewinn und trotzdem wird darüber nicht aufgeklärt vor der OP.

Das Schwierige ist die Beweisbarkeit, denn meistens zweifeln die betroffenen Patienten hinterher selber, ob sie das wirklich so erlebt haben…
Was nirgendwo in den Aufklärungsbögen erwähnt wird, kann ja auch nicht sein.
Und die Anästhesisten werden sicherlich nicht das eigene Nest beschmutzen und freimütig zugeben, dass sowas vorkommt.
Diese Patienten sind auch Opfer. Opfer der glorreichen Mediziner, die sich nicht mit solchen „Bagatellen“ beschäftigen wollen.
Und die Krankenkassen bezahlen stillschweigend während der nächsten Jahre die Psychotherapiestunden, Krankengeld und Klinikaufenthalte, ohne den betreffenden Ärtzesparten mal ordentlich auf die Finger zu kloppen.
Und ist der Patient dank des traumatischen Erlebnisse während der OP dauerhaft erwerbsunfähig, zahlt die Rentenkasse brav…
Wo ist da der Gesetzgeber, der der Ärztekammer die Verpflichtung auferlegt, die Aufklärungsbögen zu überarbeiten und speziell Trauma durch Wachzustände als mögliche Folge namentlich in die Bögen reinzubringen.

Andersrum sind besonders Traumatisierte und Menschen mit dissoziativen Störungen bei Narkosen extrem gefährdet. Es ist eine erwähnenswerte Vorerkrankung.

Fakt ist….und das ist jedem normal denkendem Mensch eigentlich klar: Narkosen sind bei Trauma-Patienten ausserordentlich triggernd.
Bei DIS- Menschen sind die abgespalten Persönlichkeitsanteile zusätzlich eigenständig agierende Innenpersonen, denen die Narkose auch erstmal erklärt werden muss.
Vielleicht wollen einige Innies keine OP oder sind zu jung, um das zu verstehen.

Wer Kinder hat und diese ambulant wegen Polypen oder Paukenröhrchen operiert wurden, weiß, wie sich Kinder in der Aufwachphase verhalten…sie toben und sie schreien, weil die Psyche nicht versteht, dass eine Narkose für einen bestimmten Zeitraum das Bewusstsein ausgeschaltet hat.

Die Narkose versetzt den Menschen in Bewusstlosigkeit, für Stunden hat der Patient sein Leben und seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle…es könnte alles mögliche passieren in dieser Zeit.
Traumapatienten jeden Alters brauchen aber jederzeit volle Sicherheit und Kontrolle über Körper und über Situation…sonst schlägt das Unterbewusstsein Alarm!

Narkose erzeugt künstlich Zustände, die ein traumatisierter Mensch schonmal erlebt hat:
HILFLOSIGKEIT/ OHNMACHT

Somit sind Traumatisierte besonders gefährdet!
Retraumatisierung kann nicht ausgeschlossen werden!

Betroffenen ist dieses aber meistens nicht bewusst.
Und da Betroffene mit ihrem Trauma, grade bei sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung, nicht grade hausieren gehen oder auch ständig wegdrängen, wird es auch beim Vorgespräch mit dem Anästhesisten nicht thematisiert.

Im postoperativen Fragebogen tauchen PTBS oder DIS leider auch nicht auf…da wird nur oberflächlich nach Nerven/Gemüt, Krampfleiden und Depressionen gefragt…
Mich würde ja mal interessieren, ob überhaupt darauf eingegangen wird, wenn der Patient den Bereich ankreuzt.

Wer eine DIS oder Trauma hat, sollte deswegen mutig sein und unbedingt den Anästhesisten vor der OP darüber informieren.
Nimmt der Anästhesist das nicht ernst, dann sucht Euch einen anderen Arzt.

Huhn oder Ei?
Trauma als Vorerkrankung oder als Folgeerkrankung?
Diese Frage lässt sich nach einer Narkose nicht immer eindeutig klären.

Eure retraumatisierte Rapunzel