Des einen Freud – des anderen Leid
Rentner…Pensionär….das hört sich ja noch ganz nett an und impliziert, dass man seinen wohlverdienten Ruhestand jenseits der 60 antritt.
Dass man seinen Beitrag geleistet hat in der Arbeitswelt, von seinem Arbeitgeber und Kollegen feierlich verabschiedet wird, nach Kaffe, Keks oder Schampus wehmütig seinen Arbeitsplatz räumt, ne Menge Hände schüttelt und dann all seine Pläne umsetzt, die man für einen glücklichen Lebensabend anvisiert hat.
Frührentner….Erwerbsunfähig…das sind nun ganz andere Bezeichnungen, die wohl niemand positiv assoziieren kann mit überhaupt irgendwas.
Ok, es gibt die schon erwähnten Flachpfeifen, die das mit ewigem Urlaub verbinden, aber die Realität sieht ja ganz anders aus.
Wie soll ein Mensch, der vielleicht nichtmal die Halbzeit seines Arbeitslebens erreicht hat, damit umgehen, so krank zu sein, dass ihm von der Rentenkasse amtlich bescheinigt wird, dass er UNFÄHIG ist, selbst einfachste Arbeiten zu verrichten?
Früher gab es die Berufsunfähigkeitsrente, da ging es in der Bewertung darum, ob man noch in der Lage war, seinen Beruf auszuüben. Und dann wurde nach Alternativen gesucht. Und wenn es die nicht gab, dann wurde berentet. War auch nicht schön und nicht immer fair, deswegen wurden letztendlich ja auch die Bezeichnung und die Bewertungskriterien geändert.
Aber warum das Wort „Erwerbsunfähig“?
Warum nicht „dauerhaft Krank“? Oder eben „Frührentner“?
Auf das Wort „Unfähig“ hätten die da Oben gerne verzichten können.
Im Duden steht „Unfähig“ = den gestellten Aufgaben nicht gewachsen…
Schreibt das ein Chef in das Arbeitszeugnis seines ausscheidenden Mitarbeiters, ist der erledigt in seiner Karriereplanung.
Ist eine Mutter unfähig, ihre Kids zu erziehen, hat sie das Jugendamt am Hals.
Ist ein Politiker oder ein Vorstandsmitglied eines großen Unternehmens jedoch unfähig, dann gibt’s lebenslange Rente oder fette Abfindungen als Trostpflaster…aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Wer also „Unfähig“ nach den Regeln unserer Gesellschaft ist, ist in eigenen Augen und den Augen Anderer nämlich zuallererst mal eins… Ein Versager!
Nicht schön, aber so siehts aus!
Und so fühlen sich die meisten Frührentner auch, wenn sie den positiven Bescheid des Rentenversicherungsträgers erstmalig in den Händen halten.
Ausrangiert, ausgemustert, abgeschrieben…
Ich selber habe das 2008 genau so empfunden.
Ich bin ja nicht freiwillig in die Rente gegangen…nee, das Arbeitsamt hat es mir „nahegelegt“.
Die Entscheidung, den Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen, ist mir damals sehr schwer gefallen…Ich hatte immer geglaubt, ich rappele mich schon wieder auf.
Mit 33 hatte schonmal eine REHA Klinik den Versuch gewagt, mich als Totalschaden aus der Klinik entlassen zu wollen und ich habe mich damals dagegen erfolgreich mit Händen und Füßen gewehrt.
Mit 40 hat es mich dann doch ereilt. Wehren zwecklos.
Bis der positive Bescheid im Briefkasten lag, hatte ich noch immer gehofft, dass ich eine Ablehnung bekomme, weil es ja angeblich so schwer ist, Frührentner zu werden.
Aber Pustekuchen! Ich stand da unten im Hausflur und habe ziemlich fassungslos, mit Tränen in den Augen, den Bescheid langsam wieder zurück in den Umschlag geschoben.
Die Rente war befristet auf 2 Jahre…also habe ich versucht, mich damit zu trösten, dass ich in 2 Jahren mein großes gesundheitliches und berufliches Comeback haben werde.
War natürlich nicht so! Mir ging es zwar etwas besser, aber ein Folgeantrag musste her.
Das fiel mir auch schon nicht mehr so schwer, denn ich hatte ja 2 Jahre Zeit gehabt, mich an den Zustand der absoluten Nichtstuerei zu gewöhnen.
Schwieriger war es jedoch, mich daran zu gewöhnen, dass ich auch im Umfeld immer wieder mal Farbe bekennen musste, wenn die Frage kam: „Und? Was machst Du so berufllich?“
Wie soll man da antworten und vor allem, wie soll man sich dabei fühlen?
Wie sollte die Körperhaltung sein?
Variante A
Mit stolzgeschwellter Brust verkünden, dass man schon Pensionär ist.
Variante B
Mit versagender Stimme und gesenktem Blick beichten, dass man arbeitsunfähig ist
Variante C
Möglichst emotionslos mit neutraler Stimme und Gesichtsausdruck mitteilen, dass man leider nicht mehr am Arbeitsleben teilnimmt
Ich fand und finde es immer noch sehr schwer und ausserordentlich unangenehm, die Frage nach meinem Job zu beantworten.
Ich fühle mich in dem Moment unsicher, minderwertig, als Aussenseiter, als Versager.
Hätte ich eine sichtbare schwere körperliche Behinderung, würde mir es wohl leichter fallen.
Aber so liegt es ja nur an mir selbst. Daran, dass ich mich nicht in den Griff bekomme.
Ich schäme mich…und ich weiß, dass ich das eigentlich nicht muss. Aber es ist so!
Ich träume nachts sehr häufig davon, wieder in meinem alten Job zu sein, mit meinen Kolleginnen zu quatschen, die Kundinnen zu beraten…
Lob und Anerkennung zu bekommen für meine Arbeitsleistung, mich auf den Feierabend zu freuen und auf das Wochenende…
Aber so, wie es aussieht, werde ich das nie wieder erleben, denn mittlerweile bin ich unbefristet berentet.
Als die Unbefristete Rente 2012 ins Haus trudelte, war ich total unvorbereitet.
Klar, ich musste wieder einen Folgeantrag stellen, aber grade in der Zeit fand ich, dass ich grade auf dem Weg der Besserung war. Ich fühlte mich ziemlich stabil und auch die Psychosomatik ließ mich ausnahmsweise mal etwas in Ruhe.
Ich war auf eine weitere 2jährige Verlängerung eingestellt…aber das „Unbefristet“ hat mich geschockt, mir den Boden unter den Füßen weggezogen,
Alle meine Hoffnungen waren mit diesem einen Wort zerstört.
Ich war so voll Wut und Frust, denn irgendeiner meiner Ärzte (oder alle) musste mich ja in seinen Berichten als hoffnungslosen Fall eingestuft haben…und das, wo ich mich grade etwas besser fühlte.
Bis heute weiß ich nicht, wer es war…ich habe jeden meiner Ärzte ordentlich angeranzt deswegen. Ich hatte aber den Eindruck, dass keiner mich wirklich verstehen konnte.
Im Gegenteil, ich solle mich doch freuen, dass ich weiterhin ohne Druck an meiner Genesung weiter rumfeilen kann. Aber das konnte ich in der Zeit nicht annehmen.
Jetzt, 3 Jahre später, bin ich schon wesentlich entspannter…
Ich weiß, dass meine Ärzte recht hatten mit ihrer Einschätzung, ich bin noch lange nicht soweit, wieder arbeiten zu können. Ich habe genug mit der PTBS zu tun, das ist ein Vollzeit-Job!
Ich habe mich damit zwar nicht wirklich abgefunden, aber ich akzeptiere es mittlerweile.
Ich akzeptiere, dass ich jetzt nicht arbeiten kann.
Und ich akzeptiere, dass ich nicht schuld daran bin.
Aber ich träume trotzdem noch immer nachts ab und zu davon, eines Tages wieder meinen Job zu machen, eigenes Geld zu verdienen und mich auf den Feierabend zu freuen.
Eines Tages….
Und die Frage, was ich beruflich mache, finde ich immer noch scheiße…
Eure Rapunzel
22. Oktober 2015 at 0:03
Anfangs war ich heilfroh, dass ich diese Rente bekam, „erwerbsunfähig auf Zeit“, so hieß es bei mir damals, das war noch die alte Regelung.
Ich war damals 36, hatte einen kompletten Burn-out, deshalb war ich froh, dass es diese Möglichkeit gab.
Ich war sehr lange krank, konnte gar nicht arbeiten.
Später als es mir scheinbar besser ging, mußte ich ja auch immer wieder zum Gutachter, alle bescheinigten mir sehr schnell, dass ich immer noch nicht erwerbsfähig sei.
Ich habe auch lange damit gehadert, mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich in diesem Leben auch nicht mehr arbeiten werde.
Wobei ich, sobald ich konnte, angefangen habe ehrenamtlich zu arbeiten, Bahnhofsmission, Obdachlosenszene, Frauenhaus usw.
Das ging gut, ich konnte mir aussuchen wann ich komme, wieviel Stunden ich mache.
Leider habe ich mich dann überschätzt und landete wieder in einem Burn-out, naja, berentet war ich eh schon.
Heute sage ich mit fester Stimme und mit direktem Augenkontakt, ich bin berentet wegen Erwerbsunfähigkeit aufgrund einer schlimmen PTBS.
Meist kommen dann Fragen, was das sei und ich antworte, daraus haben sich schon sehr gute Gespräche ergeben.
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23. Oktober 2015 at 14:54
Ich musste gerade an den Werbespott denken wo die „Hausfrau“ auf die Frage nach dem Beruf antwortet „Ich leite ein kleines Famielenunternehmen“.
Vielleicht wäre die richtige Antwort auf die Frage nach dem Beruf „Ich Berate und Informiere zum Thema PTBS“ 😉
Ist ja wenn ich deinen tollen Blog ansehe nicht mal gelogen.
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23. Oktober 2015 at 18:53
Vielen Dank Ralf:-)
Jedenfalls wäre es überlegenswert
Berufsbezeichnung „PTBS- Beraterin“, anstatt Tupper oder Avon 😉
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6. Juni 2018 at 15:28
https://polldaddy.com/js/rating/rating.jsMich haben sie schon mit 30 aussortiert, geschlagene 10 Jahre habe ich damit gehadert. Jetzt, mit 50, geht es, da ich immer mehr zu meiner Erkrankung stehen kann.
Ein Schlag ins Gesicht war noch mal die Zuerkennung von Pflegegrad 3 ohne Empfehlung zur Nachbegutachtung, da Besserung nicht mehr zu erwarten.
Damit hadere ich noch immer.
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23. Juli 2018 at 23:33
https://polldaddy.com/js/rating/rating.jsHallo liebe Rapunzel! Ich (Opfer von jahrelanger Kindesmisshandlung, körperlich & seelisch von Säuglingsalter an, ebenso mein Bruder) erkenne mich in so vielen Deiner Beiträge wieder… vor allem dieser hier bzgl. unbefristeter EM-Rente könnte über mich geschrieben sein! Habe einen GdB von 70 und mich hat die DRV im Alter von 49 Jahren abgeschossen. Nach Hörsturz & Burn-Out 2007, endlosen Krankschreibungen, Gutachten der BA als nichtmal für 3h täglich arbeitsfähig, dann Alg2 (Hölle) und letztendlich die EM-Rente 2014, unbefristet seit 2017. Ein Schock, auch ich hatte vor, zurück in den Beruf zu gehen! Die Rente ist nur gering, weil meine PTBS mir sowohl im Studium, als auch im Berufsleben immer wieder Probleme bereitete und ich daher insgesamt nur lächerliche Einzahlungszeiten von 11 Jahren habe. Eine OEG-Rente bekomme ich nicht, denn man spricht mir meine PTBS ab, weil Ärzte die nur diagnostizierten, aber nicht begründeten, warum. Auch bekomme ich keinen GdS zuerkannt, weil ich angeblich nicht durch die Misshandlungen geschädigt sei (die allg. Lebensumstände zu dieser Zeit seien ursächlich für die psych. Fehlentwicklung, nicht die körperlichen Misshandlungen). Weil man Zahlungen vermeiden will, werden sowohl Erstanträge, als auch Widersprüche abgelehnt, mein Bruder & ich müssen jetzt klagen. Das ist unser sogenannter „Sozialstaat“.
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24. Juli 2018 at 2:30
Hallo Rike…
vieles ist in diesem Land nur Makulatur….vielleicht ursprünglich mal gut gemeint, aber im Hinblick auf die Kosten dann doch nur ein abgespecktes Hilfesystem mit vielen Hürden für die Opfer.
Da sind wir dann letztendlich auf uns alleine gestellt…wieder mal…und müssen noch um das bischen Gerechtigkeit und Anerkennung kämpfen…und dabei noch auf uns achten, damit es uns nicht gesundheitlich noch mehr schadet.
Das OEG Verfahren ist eine teilweise opferverachtende Bürokratiefalle…
Pass gut auf dich auf….und gib nicht auf!!!!
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28. Juli 2018 at 2:35
Danke! Ich tendiere hier aber doch zu Aufgeben. Da die Erfolgsaussichten nicht gut sind, bekommen wir keine Rechtshilfe vom Weißen Ring, das verstehe ich aber. Leider aber auch keine Prozesskostenhilfe. Wir müssen also ohne anwaltliche Hilfe klagen. Da die Ämter routiniert sämtliche Register ziehen, um nicht zahlen zu müssen, wird das wahrscheinlich scheitern, weil wir juristisch ja überhaupt keine Kenntnisse haben (z .B. Urteile und sowas) und wenn selbst Anwälte sich jahrelang mit denen streiten, gehen dumme kleine Laien, die dazu noch psychisch beeinträchtigt sind (nicht belastbar) sofort unter. Deshalb werde ich wohl aufgeben, denn ich habe nicht die Kraft, für nichts lange Zeit zu kämpfen. Bei meinem Bruder sieht es wegen zusätzlichen MBs etwas besser aus, MB wird ja seltsamerweise ernster genommen und besser behandelt als „nur“ Misshandlungen. Für meinen Bruder freut mich das zwar, aber im Allgemeinen finde ich das nicht fair. Genauso wie § 10a Abs.1 OEG, Letzteres ist meiner Meinung nach Diskriminierung. Denn jemand, der vor 1976 misshandelt wurde leidet genauso wie jemand, der das alles danach erlitt. Dieses total veraltete Gesetz (war für Kriegsopfer gedacht) muss überhaupt endlich zeitgemäß modifiziert werden. Bezeichenenderweise lässt sich das BMAS gaaanz viiiel Zeit dafür, Frau Nahles wollte doch schon 2016 einen Entwurf vorlegen… gibt halt Wichtigeres.
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7. Oktober 2018 at 12:49
Auch vielen Dank für diesen guten und hilfreichen Beitrag!
Ich habe jetzt nicht den gesamten Blog im Kopf, aber ich denke, Du hast eher kPTBS als ptbs … Für mich war die Diagnose auf der einen Seite auch entlastend … insbesondere als die Therapeutin sagte: „Vergleichen Sie sich nicht mit den Anderen! Sie spielen in einer anderen Liga!“ – Ansonsten habe ich die gleichen Zweifel etc. wie Du!
Liebe Grüße,
thira3006 aka @ueberleben_ja auf Twitter
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7. Oktober 2018 at 13:38
Die Diagnose KPTBS ist noch nie gestellt worden bei mir, Ich gehe mit dir da aber absolut konform.
Entlastend empfinde ich sie aber nicht, da das der Grund ist, weshalb viele Kliniken und Therapeuten die Behandlung von Betroffenen ablehnen.
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13. September 2019 at 12:05
Traumakklinik / -Therapeuten (m/w/d) suchen! Viel Geduld dabei haben! Alles gute!
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5. August 2019 at 18:53
ohja kann dem allem leider zustimmen.
Seit 2012 das erste mal in EU-Rente (ich 32 Jahre) und jetzt 2019 kam der Bescheid auf Dauerrente. Kam genauso unvorbereitet wie bei Dir. Musste das 3x durchlesen bis ich es kapiert hatte.
Annehmen ist ne ganz andere Nummer.
Habe auch schon erlebt, dass Leute mit den Schultern zucken:“ ja mei wenn arbeiten nicht mehr geht, gehts halt nicht mehr.“
Ja wenn ich das nur auch so locker sehen könnte.
Liebe Grüße
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