Ein Paradebeispiel der Vorurteile ist das Gerücht, dass psychisch Kranke nicht viel unterm Pony haben können.
Falsch gedacht, denn Menschen mit Depressionen, PTBS oder anderen seelischen Erkrankungen durchlaufen genauso die schulische Laufbahn wie alle anderen.
Sie machen auch ihre Abschlüsse und ihre Ausbildung, arbeiten meisten besonders erfolgreich in ihrem Job und sind in sämtlichen Berufssparten zu finden, auch bei den Akademikern.
Und das unter erschwerten Bedingungen.
Wem es psychisch nicht gut geht, muss nämlich mehr Aufwand betreiben und mehr Energie verbrauchen, um die gesteckten Ziele und Vorgaben zu erreichen.
Ängste, niederdrückende Gedanken und Selbstzweifel müssen ständig überwunden werden und die Psychosomatik erschwert den Alltag und zwingt häufig zu vermehrten Fehl- oder Ruhezeiten, die dann wiederum den Druck, das Tagespensum zu schaffen, erhöhen.
Medikamente sind ebenfalls eine zusätzliche, sehr oft unterschätzte Belastung.
Ich denke, dass grade seelisch Kranke, die unter einem geringen Selbstwertgefühl leiden, sich besonders anstrengen, um durch ihre Leistungen in Schule und am Arbeitsplatz messbaren Erfolg zu haben.
Erfolg, den sie für sich verbuchen dürfen, damit sie ihre inneren Defizite zumindest in Teilbereichen überdecken können.
Erfolg, der ihnen das Gefühl gibt, wertvolle Mitglieder der Gesellschaft zu sein.
Erfolg, der ihnen in ihrem Umfeld die Anerkennung bringt, die ihnen ansonsten vielleicht verwehrt bleibt.
Und auch auf privater Ebene wird ein seelisch Kranker meistens alles geben, die Wünsche und Ansprüche seines Umfeldes zu erfüllen. Aufopfernd, immer hilfsbereit, immer ein offenes Ohr!
Und wenn wir einbrechen und phasenweise nix gebacken bekommen, der Haushalt liegenbleibt, die Wäsche sich stapelt und der nächste gelbe Schein beim Arbeitgeber eintrudelt, dann sind wir keine Drückeberger, die sich mal grade einen faulen Lenz machen wollen. Nein!
Dann benötigen wir all unsere Energie ausnahmsweise mal nur für uns…
Um uns am Leben zu erhalten…
Um unsere Psychosomatik wieder in den Griff zu bekommen…
Um uns zu erholen und wieder aufzurappeln…
Und dann geht’s wieder weiter…
Wir mögen Defizite haben…falsche Denkweisen, falsche Selbstbilder, falsche Bewertungssysteme….
Doch die haben nichts, aber auch rein gar nichts, mit Intelligenz zu tun, sondern sind die Folgen dessen, was uns die Gesellschaft oder das Schicksal angetan haben…
Und das nennt sich (traumatische) ERFAHRUNG!
Viele bekannte Persönlichkeiten der Zeitgeschichte sind ebenfalls mit seelischen Störungen gebeutelt gewesen. Und trotzdem waren sie erfolgreich, geachtet, verehrt und werden auch heute noch zitiert, nachgeahmt, gefeiert…
Desweiteren denke ich, Bildung und Wissen schafft Sicherheit…ich überrasche gerne und oft mit einem breiten Spektrum an Allgemeinwissen. Und auch viele meiner Leidensgenossen werden Bücherwürmer sein, besonders kreativ oder eine Schläue besitzen, die beeindruckt.
Das einzige, was wir uns vielleicht vorwerfen lassen könnten, ist mangelnde Konzentrationsfähigkeit, eine schnelle Reizüberflutung und höhere Rückzugstendenzen.
Oder eben Antriebslosigkeit…
Aber das alles sind nun nachweislich Symptome unserer Krankheitsbilder.
Eure zerstreute Rapunzel
14. Oktober 2015 at 19:37
Komm an mein Herz
Was für ein wahrlich toller Beitrag, ich könnt echt Tränchen dafür vergießen.
Sorry, heute kein produktiver Kommentar, ich find gerade keine Worte
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14. Oktober 2015 at 19:49
Schlägt Dir heute das Wetter aufs Gemüt 😉
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14. Oktober 2015 at 20:30
Oder es liegt daran, dass du so tolle Worte für meine Gedanken gefunden hast 😀
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14. Oktober 2015 at 21:06
Vielleicht auch das 🙂 Danke
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14. Oktober 2015 at 20:58
Hat dies auf meinwegmitborderline rebloggt und kommentierte:
Auch hier wieder ein sehr guter Artikel von Rapunzel! Danke dir!
Sehr Lesenswert! Nur leider wird das zu wenig gesehen.
Mutter Kind Kuren werden eigentlich nur alle vier Jahre bewilligt, aber ich merke das ich auch meist schon nach 1-2 Jahren reif für eine neue wäre.
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14. Oktober 2015 at 23:03
Leider nur allzu wahr.
Es wird wohl noch sehr lang dauern, bis diese Vorurteile ausgeräumt sind.
Mein Exfreund sagte allen Ernstes zu mir, er hielte mich für eine Simulantin, ich sei nicht depressiv, denn Depression sei ein neumodisches Wort für Faulheit, alle, die meinen depressiv zu sein, sollte man mal in einen Steinbruch zum Arbeiten schicken, da würden sie nicht mehr behaupten, depressiv zu sein 🙄
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14. Oktober 2015 at 23:08
Na, das war ja mal ein richtiges Goldstück von Mann…ein echter Experte…sicherlich mit PsychologieStudium…gelle???
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14. Oktober 2015 at 23:41
Ja, er war einfach nur übel. diese und andere ähnliche Aussagen waren auch Gründe, ihn zu verlassen.
Er wußte alles und vor allem wußte er alles besser 🙄
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15. Oktober 2015 at 9:18
Hat dies auf Nanas Life rebloggt und kommentierte:
Ich finde es einfach so toll, so wahr.
Und ich würde es so manchem, der mir vor Augen hält, wie hoch er auf der Leite des Erfolgs steht und wo ich stehe, um zu zeigen, wie sehr ich versagt habe, gerne entgegen schreien.
Nur, er würde es nie verstehen.
Danke für den Blogeintrag, liebe Rapunzel
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15. Oktober 2015 at 10:03
Hat dies auf Grenzlinie zwischen Gut und Böse rebloggt und kommentierte:
Sehr schön formuliert ♡
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15. Oktober 2015 at 19:15
Hat dies auf Mein Wunschleben und Ich! rebloggt.
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15. Oktober 2015 at 19:46
Toller Beitrag – trifft es auf den Punkt! Ich hoffe, die Vorurteile hören bald(BALD-relativ und un-relativ gesehen) auf! – Ich habe mir jedenfalls mein schlechtes Gewissen abgewöhnt – was SEHR zu meiner Genesung beigetragen hat! Ich schicke liebe Grüße
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16. Oktober 2015 at 18:14
Liebe Grüße zurück an Dich.
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15. Oktober 2015 at 22:49
Sehr schöne Worte, danke. Als hochsensibler Mensch driftete ich des öfteren in Depression und Überreizung, was dann zu psychosomatischen Beschwerden führte….manchmal war( bin ich noch)auch einfach nur traurig. Am schönsten sind die Momente, wo ich mich selbst aus der Ecke holen konnte….denn viele Therapeuten und Ärzte schaffen das gar nicht, machen Symptombehandlung und nicht Ursachenforschung. Jetzt biete ich meine Hand zur Begleitung, manchmal ist es besser, jemanden einfach zum Reden zu haben, der die gleichen/ähnlichen Erfahrungen gemacht hat und der in Resonanz mit seinen eigenen Werten und Gefühlen steht…. LG Bernadett
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16. Oktober 2015 at 18:14
Hallo Bernadett,
danke für Deinen lieben und offenen Kommentar, auch wenn wir uns noch nicht kennen.
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16. Oktober 2015 at 1:54
„falsche Denkweisen, falsche Selbstbilder, falsche Bewertungssysteme….“ – ich denke genau daraus lässt sich dann die richtige Denkweise, das richtige Selbstbild und das richtige Bewertungssystem erschließen. Was je nach Person natürlich wieder ganz individuell ist. Aber ich denke, dass genau die Menschen, die du bereits genannt hast, einen Vorteil gegenüber den „gesunden“ Menschen haben. Ist schwer zu erklären, würde dir aber das Buch „Ins Herz der Dinge lauschen“ von Samuel Widmer sehr empfehlen. 🙂
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16. Oktober 2015 at 18:12
Wie ich immer wieder erwähne, die eigenen Defizite kenne ich und wahrscheinlich alle anderen ganz genau…aber die Gedanken und Bewertungen neu zu sortieren und „richtige“ Lösungen zu erarbeiten, ist wahnsinnig schwer. Zumal man ja häufig nur reagiert und nicht agiert…in Bruchteilen von Sekunden.
Aber auf die Vorteile bin ich gespannt…ich wäre Dir sehr verbunden, wenn Du mir da mal auf die Sprünge helfen könntest.
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