Ich spreche mit Dir – alles im grünen Bereich!

Du sprichst mit mir – blöd!
Du sprichst nicht mit mir – blöd!
Du sprichst mit anderen über mich – oberblöd!


Eigentlich wäre damit alles gesagt zu dem Thema, aber das wäre wohl zu einfach.

Natürlich kann ich hier nur beschreiben, wie es mir mit Beziehungen geht.
Mir ist es jahrzehntelang sehr schwer gefallen, in Worte zu fassen, wie es in mir aussieht.
Aber vielleicht ergeht es Euch ja genauso oder so ähnlich und könnt nach dem Lesen Euren Beziehungspartnern besser erklären, was da los ist.

Beziehungen- damit sind nicht nur die Partnerschaft und Familie gemeint, sondern alle Menschen, mit denen ich im Alltag in Kontakt treten muss: Freunde, Nachbarn, Bekannte, Verkäufer, Ärzte, etc.

Kontrolle ist auch hier das lästige Zauberwort.

Neneeee, ich will nicht die Menschen kontrollieren, bespitzeln, ausspionieren…
aber ich brauche die Kontrolle, wer wann wie mit mir in Kontakt tritt und Kontrolle darüber, wie es mir mit diesem Kontakt und was er mir sagt, geht.

Ich möchte nicht mit Infos überflutet werden, wenn es mir grade nicht gut geht, ich möchte keine schlechten Nachrichten hören, ich möchte keinen Beistand leisten und ich möchte keine Fragen beantworten, wie es mir geht oder was ich mache oder auch noch Termine machen.
Und vor allem möchte ich kein Interesse oder Mitgefühl heucheln, wenn mein Kopf grade wieder voll beschäftigt ist mit Katastrophendenken, Bodyscanning oder ich mich wieder mal im Vakuum befinde.

Ich würde vielen gerne helfen, aber ich kann nicht mal mir selber helfen.
Eine sehr gute Freundin von mir hat Krebs…auch sie braucht grade viel Zuspruch…und ich kann ihr nicht so zur Seite stehen, wie ich es gerne würde.
In solchen Zeiten sollte ich zu 150% an ihrer Seite sein, doch wenn sie erzählt von Krebs, von Chemo, von Übelkeit, von Todesangst…dann steigt meine Angst auch, denn ich überlege, wie es wäre, wenn ich Krebs bekomme und dass ich so einer harten Zusatzbelastung nicht gewachsen wäre. Ich bin mit den Gesprächen mittlerweile total überfordert und schäme mich entsetzlich dafür.

Aber auch ein stinknormales Gespräch mit der Nachbarin kann schon zur totalen Reizüberflutung führen.
Infos über Tante Hertas Bronchitis, die Hausordnung, Nachbar XY, das Wetter, die Nachrichten, wortreich vorgetragen und ich muss auch noch konzentriert zuhören und an den passenden Stellen antworten…Für andere Menschen vielleicht auch nervig, für mich purer Stress, der mich dann in die Horizontale zwingen kann, damit ich mich wieder beruhige.

Und da ich nicht in die Zukunft schauen kann und im Vorfeld weiß, was mir der Kontakt mitteilen wird, bin ich lieber nicht erreichbar.
Ich verabrede mich nicht… meinem Telefon ist fast immer der Anrufbeantworter vorgeschaltet,
oder ich gucke aufs Display, bevor ich abnehme…das Handy ist oft auf lautlos gestellt, WhatsApp Nachrichten oder Facebookchats werden nicht sofort beantwortet oder vielleicht auch gar nicht.

Ich habe Freundinnen, die schließen sofort Kontakt mit jedem, den sie treffen…da wird gesabbelt, als gäbe es kein Morgen, Telefonnummer ausgetauscht, gegenseitig besucht, Freundschaften geschlossen.

Sabbeln kann ich auch, wenn ich es will…
Ich kann auch Kontakt aufnehmen, wenn ich es will…
Aber ich kann diese Kontakte nicht vertiefen, es bleibt beim Kontakt.
Ich kann mich mitteilen, wenn ich will, aber ich möchte keinen Austausch.
Mir reicht ein Pinnwandeintrag auf Facebook oder sowas wie diese Webseite.

Und dieses Nichtkönnen macht verdammt einsam.
Ich kann an einem Kaffeetisch sitzen, die Sonne scheint, der Kuchen ist lecker, die Menschen um mich herum sind gutgelaunt, haben Spaß und reden miteinander.
Und ich sitze mittendrin und bin doch nicht dabei.
Ich bin beschäftigt mit Bodyscanning, checke ständig meinen Stresspegel und die Umgebung und überlege, was passiert, wenn ich mich nicht mehr kontrollieren kann. Ich fühl mich schlecht, als eine Spaßbremse, hadere mit mir und meinem Schicksal, ärgere mich, dass ich nicht fähig bin, diese entspannte Stimmung wie die anderen zu genießen und halte nur noch aus und durch und sehne den Augenblick herbei, wann ich diese Situation verlassen kann.
Die Stimmen der Menschen verwischen zu einem Gemurmel, die Sonne wärmt mich nicht, der Kuchen stillt meinen Hunger nicht und ich habe das Gefühl, ich bewege mich in einem Paralleluniversum, in einer Matrix…und ich wäre lieber zuhause und fluche darauf, dass ich mich darauf eingelassen habe, mitzugehen.

Aber ich war gewillt, es zu versuchen…das kommt ein paar mal im Jahr vor und dann reicht es auch wieder für lange Zeit. Projekt Normalität gescheitert!

Die Krux dabei ist, dass ich auch all das haben möchte, was andere Menschen haben:
Eine intakte Familie – Eine liebevolle Partnerschaft – Einen zuverlässigen Freundeskreis
Spaß, Spontanität, Unbeschwertheit, Freiheit…Beliebt sein, Geliebt sein….und wenn ich auch was davon habe, kann ich es nicht annehmen, da ich diese Dinge nicht spüren kann.
Und was ich nicht spüre, kann ich auch nicht weitergeben….

Das wiederum ist ziemlich doof für die Menschen um mich herum, die auch ihre Wünsche und Ansprüche an mich haben, die ich nicht erfüllen kann, so sehr ich mich auch bemühe.

Stabilität, Vertrauen, Verständnis…
das sind die Dinge, die ich am meisten in meinen Beziehungen brauche.

Aber wie kann ich das von anderen erwarten, wenn ich selber instabil bin, ständig mit mir selbst hadere und null Verständnis für meine eigenen Schwächen habe?

Um mit Verlustängsten klar zu kommen, lasse ich keine Nähe zu.
Um nicht enttäuscht zu werden, schraube ich meine Erwartungen ganz weit runter.
Um nicht verletzt zu werden, bin ich misstrauisch.
Um nicht die die Kontrolle zu verlieren, bin ich distanziert.

Das sind nicht grade die besten Voraussetzungen, um als offener, liebevoller, warmherziger Mensch gesehen zu werden… somit hat es mein Gegenüber verdammt schwer, sich neben mir wohlzufühlen. Also fühlen wir uns unter Umständen gemeinsam unwohl.

Ein ganz beschissener Teufelskreis!

Eure gefrustete Rapunzel