„Erworbene“ psychische Handycaps (vor allem seelische Behinderungen wie PTBS, Depressionen, Borderline, Angststörungen etc.) mit körperlichen oder angeborenen geistigen Behinderungen gleichzusetzen, ist in den Augen Vieler eine unvorstellbare Anmaßung.

Allein einen Vergleich zu ziehen und die gleichen Rechte einzufordern, ist meistens ein Gang aufs Mienenfeld!

Inklusion ist ein Menschenrecht, festgeschrieben in der UN-Behindertenkonvention.
Aber vor allem seelisch Kranken, die keinen „Geburtsfehler“ , Gendefekt oder Unfall hatten, wird dieses Recht in unserer Gesellschaft gerne abgesprochen.

Besonders übel finde ich, wenn körperlich Behinderte beginnen, sich mit psychisch Erkrankten zu vergleichen und sich nicht vorstellen können/ wollen, dass eine seelische Behinderung genauso oder in einzelnen Situationen sogar mehr einschränkend sein kann als eine körperliche.

Bei Facebook habe ich in einer Gruppe, die sich mit dem Thema „Pflegestufen“ beschäftigt, etwas sehr frustrierendes beobachtet:
Einer psychisch Kranken wurde aufgrund dem, was sie sonst von sich im Internet mitteilt, von einigen Mitgliedern dieser Facebookgruppe in ziemlich anmaßendem Ton das Recht aberkannt, einen Antrag auf Pflegestufe 3 zu stellen. Und die bestehende Pflegestufe 2 wurde angezweifelt. Es wurde ihr Bereicherung vorgeworfen und dass „sowelche wie sie“ daran schuld sind, dass es anderen so schwer gemacht wird, das zu bekommen, was ihnen zusteht.
Und der Grund war so entsetzlich banal…sie hat einen Kuchen gebacken.

Also wer einen Kuchen backen kann, ist anscheinend ziemlich gesund, eigenständig, selbstverantwortlich und kann sich auch selbst rund um die Uhr versorgen.
Bei so einem unsachlichen Bewertungsmaßstab müssten dann alle Teilnehmer der Paraolympics als Hochleistungssportler ab sofort auf sämtliche Assistenz verzichten.

Das Verhalten und die Begründungen der Gruppenmitglieder bei Facebook (Alles körperlich Gehandycapte mit Pflegebedarf) hat mich persönlich sehr in Aufruhr versetzt!
Das ist für mich der Anlass gewesen, diese Webseite aufzubauen.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es anscheinend viele Missverständnisse und Unwissenheit bezüglich seelischer Erkrankungen gibt und Aufklärungsbedarf besteht.

Hat ein seelisch Kranker denn wirklich weniger Unterstützung und Respekt verdient, weil der Verlauf und die Schwere seiner Erkrankung einzig und allein von seinem Gehirn gesteuert wird und keine äusserlichen Gebrechen sichtbar sind?

Andere sind schließlich viel schlimmer dran!

Bullshit…das ist genauso eine unlogische Aussage wie:
„Kind, iss Deinen Teller leer, in Afrika verhungern die Menschen!“

Wer körperlich gesund ist und deswegen eigentlich in der Lage wäre, alles zu tun, ist als seelisch Kranker automatisch weniger bedürftig, ein Simulant, ein Jammerlappen und fauler Hund und will sich möglichst bequem durchs Leben schummeln. Seelisch Kranke sind wohl einfach nur unwillig, das Gehirn richtig zu bedienen trotz dem Angebot an Medikamenten, Therapien, Lebenshilfe- Coaches, Psycho- Webseiten und Selbstfindungsworkshops am Wochenende.
Das Gehirn, die ziemlich unerforschte Glibberkugel im Kopf…ist das Zentrum unseres Seins
die Festplatte und der Joystick unseres Lebens, den wir dank unserer Evolution besser bedienen können als jedes andere Lebewesen auf diesem Planeten.
Erlebtes wird von Psychos nur überbewertet und man sollte da einfach mal vergessen, abhaken, einen Strich drunter ziehen und von Vorne anfangen.

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Ich wage hier mal einen Griff zum Heiligen Gral und weiß, ich verbrenne mir ordentlich die Pfoten daran, aber ich bin jetzt so unverschämt und ziehe auch einen Vergleich:

Ist z.B. ein Rollstuhlfahrer mit Querschnittslähmung wirklich immer, also rund um die Uhr, überall, in jeder Lebenslage, in allen Bereichen seines Daseins, grundsätzlich beschissener dran als ein seelisch kranker Mensch?

Kann sich jemand vorstellen, dass ein seelisch kranker Mensch häufig größere Barrieren als eine Bordsteinkante oder eine Treppe zu überwinden hat und in vielen Alltagssituationen, auf dem Arbeitsmarkt und Freizeitbereichen abhängiger und eingeschränkter und sogar nahezu chancenlos ist?

Ist es wirklich so unvorstellbar, dass ein körperlich intakter Mensch aufgrund seelischer Erkrankung auch körperlich gehandycapt ist?
Schwindel, Sehstörungen, Herzrasen, Schmerzen, Reizdarm, etc. können einen Menschen lahmlegen und fallen in die Kategorie „Psychosomatische Beschwerden“.
Der Weg zu dieser Diagnose ist lang und schwer und organisch ohne Befund….und was nicht da ist, kann auch nicht behandelt werden, da kann man noch so oft zum Arzt rennen und sich auf den Kopf stellen lassen. Man muss einfach damit leben und zusehen, wie man damit klar kommt.

Und ist es auch unvorstellbar, dass ein seelisch kranker Mensch nicht in der Lage ist, die einfachsten alltäglichen Verrichtungen eigenständig zu bewältigen?
Körperpflege, Trinken, Essen, Kleidungswechsel…wäre rein theoretisch machbar, ist es aber bei vielen nicht. Oder einen Tag geht’s, dafür den ganzen nächsten Monat wieder nicht.
Warum? Nicht nur wegen der körperlichen Verfassung und Tagesform- nein oft auch, weil das Gefühl für die eigenen Bedürfnisse irgendwann flöten gegangen ist, Mangel an Selbstliebe und Selbstachtung, Selbstbestrafung, die Liste ist lang.

Und jetzt versucht Euch vorzustellen, wie es sich anfühlen muss, wenn man weiß, dass man organisch kerngesund ist, intelligent, ansonsten klaren Verstandes…all diese alltäglichen Dinge eigentlich tun könnte…und es trotzdem nicht kann und täglich mit diesem Wissen leben muss und auf Pflege, Begleitung und Betreuung angewiesen ist.

Ich fühl mich seit Jahren als Looser, Vollversager und habe mich schon oft innerlich für die Notschlachtung ausgesprochen. Ich sehe mich nicht als Teilnehmerin bei den Paraolympics, als Mitglied in einem Sportverein, beim Mannschaftssport oder im Kino, bei einem Musical oder einem Konzert… und an einen vollwertigen Arbeitsplatz ist gar nicht zu denken.
Meine Fähigkeiten reichen nichtmal für die Behindertenwerkstatt.

Ich möchte mit niemandem tauschen,  der körperlich behindert ist! Aber wer mit mir tauschen würde, um sein körperliches Gebrechen loszuwerden, weiß nicht, was er sich damit antun würde.

Kann nicht einfach Jeder dem Anderen das zugestehen, was er für sich selber in Anspruch nimmt, um sein Leben möglichst barrierefrei und selbstbestimmend zu gestalten – ohne das eigene Handycap über das des Anderen zu stellen?

Ich bin jedenfalls gespannt auf die neue Pflegereform, die 2017 in Kraft tritt und endlich den psychisch Kranken einen gleichberechtigten Zugang zu Pflegeleistungen ermöglichen soll.

Eure Rapunzel

Und nochmal der Hinweis…Kursive, hellgraue Texte sind immer meine ganz persönlichen Gedanken, absolut subjektive, unsachliche Buchstabenketten…;-)